Gefallene Engel
wieder?«
»Das wäre schön.«
Und das war es. So leicht konnte es gehen, wenn man es nur verstand, seine Beziehungen zu pflegen.
Der Rest des Programms sah auch nicht unüberwindbar aus. Anita Solheim, die immer noch so hieß, wohnte auffällig nah bei ihrem verstorbenen Ex-Mann, in einer der Seitenstraßen des alten Fyllingvei über dem Melkepiass. Von dort aus konnte ich weiter ins Fyllingsdal fahren und Harry Kløves Mutter, Ingeborg, im Pflegeheim besuchen.
Im Auto, auf dem Weg nach Laksevåg, versuchte ich, mir ein Bild von Anita Solheim zu machen, so wie ich sie in Erinnerung hatte von damals, als sie eine verschwommene Silhouette hinter einem heruntergezogenen Rollo auf der anderen Seite der Gasse war, in der ich aufgewachsen war.
Anita Solheim war schon eine Legende gewesen, als sie noch einen Nachnamen trug, den die meisten vergessen hatten, weil sie die größten Brüste nach Jane Mansfield hatte, jedenfalls von denen, die noch in freiem Umlauf waren. Wenn sie ein Lokal betrat, wurde es zuerst immer ganz still, als glaube niemand, was er da sah, bevor ein paar Spaßvögel anfingen, die Backen aufzublasen, Papiertüten, die sie dabei hatten, oder – bei festlichen Anlässen – bunte Ballons. Später, als sie als Johnnys Mädchen bekannt war, begegnete man ihr mit größerem Respekt, gemischt mit einem kleidsamen Neid auf Johnny, und dann, ganz plötzlich, war sie weg. Nach dem ersten Kind hielt sie sich größtenteils von den Auftritten fern. Man konnte sie in der Stadt sehen, einen Kinderwagen schiebend, in den sie ihren Busen hätte legen können, und selten einmal, als das Kind größer war, tauchte sie beim einen oder anderen Nachspiel auf, aber ihre Glanzzeit war in den Jahren vor und gleich nach 1960.
Abgesehen von der Sehnsucht vor dem Rollo war ich selbst nie weitergekommen, als ihre Höhenzüge von weitem zu betrachten, und detailliertere topographische Untersuchungen waren deshalb auch nicht aktuell gewesen. Nach allen Naturgesetzen zu urteilen, würde sie heute ein Opfer fallender Konjunktur sein. Sie würde sein wie reife, italienische Frauen: Hefegebäck, das zu lange gegangen war.
Anita Solheim wohnte in einem etwas neueren Zweifamilienhaus als ihr früherer Mann. Dies war vom Anfang der 60er Jahre, mit hohen, weiß gekalkten Kellermauern, gebeizter Holzverkleidung darüber und schwarzen, emaillierten Dachziegeln.
Ich parkte vor der Pforte, sah prüfend zum Haus hinauf und ging in den kleinen Garten, wo die Äpfel des Herbstes wie vergessene Trophäen in den zarten Bäumchen hingen.
Als ich die Hand hob, um auf den Klingelknopf zu drücken, wurde die Tür aufgerissen, und ein Mädchen von ungefähr fünfzehn kam herausgestürmt. Sie trug enge Jeans und eine große Daunenjacke in hellgrün und rosa, hatte wehende dunkle Haare und einen hellbraunen Lederrucksack über der einen Schulter hängen. Sie hatte auffällig kleine Gesichtszüge, was den merkwürdigen Eindruck machte, als sei sie viel weiter weg, als sie eigentlich war. Sie warf mir einen hastigen, verständnislosen und vollkommen gleichgültigen Blick zu, ehe sie weiterlief, mit einem leicht x-beinigen Laufstil, der nicht viel sportliche Erfahrung verriet.
Ich blieb stehen und sah ihr nach, bis sie verschwunden war. Dann klingelte ich.
In diesem Haus war richtig was los. Die Tür wurde aufgerissen und eine wütende Stimme zischte: »Was hast du denn nun wieder vergessen?«
Wir standen da und starrten einander an, sie defensiv ich noch immer mit einem Gefühl, fast von einem Schnellzug überfahren worden zu sein.
»Ich … Die Jugend heutzutage!« sagte sie entnervt. »Sie hätte vor einer Stunde in der Schule sein sollen … Aber bis spät in die Nacht auf der Straße rumhängen, das können sie!«
Ich hatte mich geirrt. Ich erkannte sie wieder. Es war Anita Solheim, aber sie hatte sich nicht so entwickelt, wie ich es mir gedacht hatte. Sie war eine verfallene Größe.
Sie hatte noch immer ansehnliche Dimensionen zwischen den Oberarmen, aber ihre Figur war jetzt mehr eine einzige Rundung, bis hinunter zum Rocksaum und den etwas stämmigen Beinen. Ihre Frisur war unordentlich, mit unbehandelten grauen Flecken, und das Gesicht war blaßgrau und verwüstet, mit schweren Säcken unter den Augen und nur einer routinemäßigen Schicht von Schminke übertüncht. Sie sah älter aus, als sie war, Mitte Vierzig.
Mit ironischer Distanziertheit strich eine graubraune, muskulöse Siamkatze um ihre Unterschenkel, mit einer Ruhe,
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