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Gefallene Engel

Gefallene Engel

Titel: Gefallene Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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so viele«, fügte ich hinzu mit einem entschuldigenden Lächeln.
    Sie sah aus, als dächte sie gründlich nach. Die Katze starrte. Sie schien überhaupt nicht zu denken. Sie ähnelte einem Gestapomann. Jedesmal, wenn ich ihrem Blick begegnete, bekam ich das Bedürfnis, meinen zu verbergen, als fürchtete ich, daß sie mir direkt in die Augen springen würde.
    Schließlich sagte sie: »Es könnte Halldis gewesen sein. – Ich hatte ganz guten Kontakt zu ihr, eine Zeitlang. Wir haben uns verstanden, irgendwie … Warte mal.« Sie hob die Katze zur Seite, stand umständlich auf, ging hinaus, schloß die Tür hinter sich und ließ mich zurück, allein mit meinem Wächter.
    Ich tat, als sähe ich sie nicht und sah mich um. Der Raum war ein Mahnmal für einen moderigen November, ein chronisches Tief. Die Porträts in den ovalen Rahmen starrten höhnisch auf mich herunter, als seien sie froh, nicht selbst anwesend zu sein.
    Dann kam sie zurück. In der Hand hatte sie ein verblaßtes Farbfoto mit einem rosa Schimmer. Sie setzte sich schwer wieder hin und reichte mir das Bild, nachdem sie es selbst eine Weile betrachtet hatte. Die Katze kehrte auf ihren Schoß zurück, und sie saß da und streichelte sie, fast automatisch, während ich mir das kleine Amateurfoto vornahm.
    Es zeigte eine kräftige Frau, von der Statur her Anita Solheims Halbschwester, an einer Hausecke irgendwo am Meer stehend. Der Wind blies in ihre Haare, die wie eine Art Pilzwolke über den kräftigen Zügen wehten, hervorgehoben von breiten, dunklen Augenbrauen und mit einem Garagentor von einem Mund. Auf der Rückseite des Bildes hatte jemand mit Bleistift geschrieben: »Halldis H. – 1977.«
    Anita Solheim nickte zu dem Bild hin. »Das war sie, ich weiß es. Ich erinnere mich daran, weil wir … Weil ich mit ihr gesprochen habe, gleich nach der Trennung, und sie – verstand mich so gut.«
    »Hast du auch später mit ihr Kontakt gehabt?«
    »Eine Weile. Ein paar Jahre. Aber dann hat sich auch das gegeben. Ich hab’ noch nie leicht – Leute halten können. Außerdem …«
    »Ja?«
    »Na ja, sie hat sich auch verändert«, sagte sie, wieder mit so einem Zwischending zwischen Offenherzigkeit und Kurzangebundensein.
    »Wie hieß sie – außer Halldis?«
    »Heggøy. Halldis Heggøy. Sie war aus Oygården. Nördlich von Blomoy irgendwo – wir waren mal da und haben sie besucht. Direkt am Meer. – Sie haben sie da abgeholt, einmal, als sie da draußen bei ’nem Tanzabend gespielt haben, auf Rong, würd’ ich tippen.«
    »Glaubst du, sie wohnt da immer noch?«
    »Sie ist jedenfalls wieder hingezogen, nachdem sie und Arild … Ich war da und hab’ sie ein paarmal besucht, das letzte Mal 1978, vielleicht ’79. – Davor arbeitete sie in der Stadt.«
    »Als was?«
    »Verkäuferin. Sie arbeitete in einem Bekleidungsgeschäft in der Strandgate.«
    »Und zu Hause?«
    »Da draußen? Sie hat wohl so ’ne Art kleinen Hof. Und dann strickt sie Pullover für den Kunstgewerbeladen und näht den Leuten Trachtenkleider. Sie hatte immer geschickte Hände. Wenn Sissel zur Konfirmation eine Tracht haben sollte, dann würd’ ich mich ehrlich an sie wenden. – Aber so was wollen sie nicht haben, die Jugend heutzutage.«
    Wir waren wieder da, wo wir angefangen hatten.
    »Sag, mal, Anita, ich hab’ da ein Gerücht gehört …«
    Sie sah mich an, ohne etwas zu sagen.
    »Stimmt das, daß da mal was war, zwischen … dir und Jakob Aasen?«
    Ihr Gesicht bekam einen entschlossenen Ausdruck, wie eine Grabsäule, versteinert bis zum Jüngsten Tag.
    »Ich will nicht …«
    Sie unterbrach mich scharf: »Nein? Ja und? Das ist hundert Jahre her, und es hatte absolut keine Bedeutung, außer … eben damals.«
    »Nein. Aber es war also …«
    Sie ging zum Gegenangriff über. »Und wie viele dunkle Kapitel gibt es in deiner Vergangenheit? Wär es dir recht, wenn ich dich fragen würde?«
    Ich hob resigniert die Hände.
    »Ich glaube, es wird Zeit, daß du gehst.«
    Das meinte die Katze auch. Als Anita Solheim sich erhob, fauchte sie mich zustimmend an, und schattenboxte mit ausgefahrenen Krallen in der Luft vor meinem Fuß herum wie eine unmißverständliche Vorwarnung, was geschehen würde, wenn ich mich nicht augenblicklich trollte.
    Ich forderte das Schicksal nicht heraus, sondern tat, wie mir geheißen.

28
    Für einen Besuch in einem Pflegeheim, und sei es noch so gut geführt, braucht man starke Nerven. In ein Pflegeheim zu kommen, ist wie in einen Wartesaal für Asylbewerber

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