Gefallene Engel
Jakob Aasen.«
Ich nickte. »Eine ganz andere Sache – die mich beschäftigt …«
»Ja?«
»Die Mordwaffe.«
»Ja?«
»Es stand nichts in der Zeitung – und ich selbst hab’ nichts gesehen außer … Blut. War da eine Waffe, am Tatort?«
Er sah mich an, lange. »Nein, war es nicht, Veum. Das ist eines der Dinge, die wir … Du trägst sie doch wohl nicht mit dir herum, oder?«
Ich lächelte matt. »Nein, ich hab’ sie in – meinen Banksafe gelegt.«
»Denn wenn wir die finden«, sagte er hart, »dann haben wir auch den Mörder!«
Ich hob locker die Hand. »Wenn dir etwas über den Weg laufen sollte …«
»Dann kannst du sicher sein, daß ich auf keinen Fall dir etwas erzähle, Veum.«
»Nein. Das hatte ich auch nicht erwartet.«
Ich verließ ihn da, mit zwei neuen Todesfällen für die Statistik, verdächtig oder nicht, unachtsam oder geplant. Tot waren sie jedenfalls, sowohl Hjellestad als auch Kløve.
Bevor ich Feierabend machte, ging ich noch ins Büro und versuchte, meine spezielle Freundin beim Einwohnermeldeamt, Karin Bjørge, zu erreichen, bevor sie nach Hause ging. Aber bei den öffentlichen Behörden war nicht mal mehr eine Vermittlungsdame da.
Also fuhr ich nach Hause und rief von dort aus an. Ihre Stimme war noch immer matt nach den Ereignissen des letzten Jahres, und sie klang nicht besonders optimistisch, als ich fragte, ob ich sie endlich zu dem Essen einladen könnte, das ich ihr versprochen hatte.
»Schulde ich nicht eher dir eins, Varg?«
»Wenn, dann schulde ich dir noch eins von vorher.«
»Außerdem hab’ ich schon die Kartoffeln aufgesetzt …«
»Stell sie in den Kühlschrank für morgen!«
Aus irgendeinem Grund ließ sie sich überreden. Vielleicht war sie weniger widerstandsfähig als früher. Oder es hatte sie die große Panik ergriffen: die Gewißheit, daß sie, wenn sie ein- oder zweimal zu oft nein sagte, plötzlich nicht mehr gefragt werden würde.
Ich holte sie also mit dem Wagen ab, bekam einen leichten Kuß auf die Wange, einen Duft von Apfelblüte in die Nase und obendrein noch einen ziemlich entspannten Abend. Wir aßen in einem chinesischen Restaurant mit freigiebigen Portionen zu erschwinglichen Preisen. Da ich fuhr, überließ ich es ihr, Wein zu trinken. Das machte es für uns beide leichter, das Gespräch in Gang zu halten, und als ich die Rechnung bezahlt hatte, war sie nicht mal beleidigt, als ich ihr einen Zettel gab, auf dem stand: Anita, Familienname Solheim (Name des Mannes: Johnny), 1962 – 1975. – Mutter von Harry Kløve, geb. 1943, in ein Pflegeheim gezogen, wahrscheinlich 1984-85 (evtl. vorher). – Heutige Adressen? Sie warf nur einen schnellen Blick darauf, lächelte ironisch, steckte den Zettel in die Handtasche und sagte: »Ruf mich morgen früh an, dann mach’ ich es sofort, wenn ich zur Arbeit komme.«
Danach fuhr ich sie nach Hause. Der Winter lag wie ein wachsames Raubtier um uns herum, sprungbereit. Aber das Opfer war noch zu weit weg.
Im Auto blieb ich sitzen und sah sie an. Das kurzgeschnittene, asketische Haar hob die strengen Konturen ihres Gesichtes hervor, und selbst das Dezemberdunkel konnte nicht den traurigen, fast bitteren Zug um den Mund mit den schmalen, und doch sensiblen Lippen verbergen. »Du siehst mich an?«
Ich nickte. Dann beugte ich mich vorsichtig vor und küßte sie leicht auf den Mund.
Einen Augenblick lang zögerte sie. Dann küßte sie mich wieder, so behutsam, als sei ich aus chinesischem Porzellan.
Aber sie bat mich nicht mit nach oben. Dafür lag die Beerdigung noch nicht weit genug zurück.
Ich blieb im Auto sitzen, bis sie sich die Haustür unten aufgeschlossen hatte. Dann fuhr ich weiter Fløyenbakken hinauf, fuhr links ab über Årstadvollen und folgte den Seitenstraßen am Fjell entlang nach Skansen.
Ich ging nach Hause und zog mir Trainingszeug an, lief eine lange Runde ganz bis zum Pulverhaus in Isdal und ging ins Bett mit Isabel Allende, das heißt mit einem Buch von ihr.
Ich stellte mir die anderen Frauen vor, als Schild. Aber es war trotz allem nicht genug. Ich hatte die sinnliche Anziehungskraft von Laila Mongstad gespürt; ich hatte Karin Bjørge geküßt. Aber in der Nacht träumte ich, unausweichlich, von Rebecca.
27
Der nächste Morgen kam wie ein Pfänder auf einem weißen Pferd, mit einer Befreiung und einer Forderung.
Ich rief Karin Bjørge an und erhielt die beiden Adressen.
»Keine Probleme?« fragte ich.
»Absolut keine.«
»Dann – sehen wir uns ein andermal
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