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Gefallene Engel

Gefallene Engel

Titel: Gefallene Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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was du ihm einmal angetan hattest, als du und Anita – ja, denn es war doch was zwischen Anita und dir, oder?«
    »Zwischen … Doch, ja, aber Hergott noch mal, das war vor hundert Jahren – das war – das war sogar noch, bevor das mit mir und Rebecca anfing …«
    »Aber nicht, bevor das zwischen Johnny und Anita anfing, stimmt’s?«
    Er senkte plötzlich den Blick. »Nein, das … Aber es war nichts – Dauerhaftes. Es war nur eine Verschnaufpause, für uns beide – in einer Phase der Heimatlosigkeit. Für sie – in einer Beziehung, die schon angefangen hatte, eine Last zu sein.«
    »Aha. Und wann war das? 1960?«
    Er antwortete nicht.
    »1961?«
    Er nickte leicht.
    »1962?«
    »Da war es vorbei.«
    »Und wie lange waren Anita und Johnny danach verheiratet?«
    »Bis – lange. Viele Jahre.«
    »Ohne daß er wußte, was passiert war?«
    »Das weiß ich nicht. Danach mußt du Anita fragen.«
    »Vielleicht tue ich das, Jakob. – Es war nicht das, was 1975 passierte? Daß der Johnny es endlich erfuhr?«
    »Nein – nein – nein! Es passierte nichts 1975, Varg – absolut gar nichts … Eben das war das Problem. Nichts – das uns einen Grund gegeben hätte, weiter zusammenzubleiben.«
    »So?«
    »Ja.«
    »Von wem ging der Bruch aus?«
    Er sah mich entnervt an. »Von keinem – direkt. Es passierte einfach.«
    »Es passierte einfach. Nichts – und dann passierte es einfach. Ein ereignisreiches Jahr, 1975. – Ich hörte beim Jugendamt auf in dem Jahr, übrigens. Eröffnete mein Büro am Strandkai. Für mich war 1975 ein wichtiges Jahr. Aber für dich also – unwichtig.«
    »Ja. Sind wir jetzt fertig, Varg? Bist du zufrieden? Worauf willst du eigentlich hinaus mit all diesen Fragen?«
    Ich spürte, wie meine Schultern zusammensackten. Ich hob resigniert die Hände. »Ich weiß es nicht, Jakob. Wie ich eben gesagt habe: Drei Männer sind tot, die alle in derselben Band spielten wie du. Ich würde mich nicht wohl fühlen, wenn ich an deiner Stelle wäre.«
    »Okay. – Was machen wir jetzt?«
    Ich stand vom Stuhl auf. »Tja, was machen wir jetzt? – Du versuchst, mit deiner Lebenssituation ins Reine zu kommen. Ich … folge den Leitfäden, die ich habe.«
    »Leitfäden?«
    »Ja. Ich mag es nicht, wenn Leute umgebracht werden, gleich nachdem ich sie zum ersten Mal seit vielen Jahren besucht habe. Die Polizei mag das auch nicht. Genau in dem Punkt sind wir tatsächlich hundert Prozent auf einer Linie. Und dann lauf ich herum und stelle ein paar Fragen. Nichts Wichtiges, einfach ein paar zufällige Fragen nach längst vergangenen Zeiten.«
    »Daß du nur – nicht alles durcheinanderbringst, Varg.«
    »Was meinst du?«
    »Ich meine – das ist doch eigentlich Sache der Polizei, oder?«
    »Jaja, das ist es immer.«
    Wir standen da und sahen einander an.
    »Wann seh’ ich dich wieder, Varg? Es wäre schade, wenn …«
    »Ich melde mich, Jakob. Wenn nicht, dann sehen wir uns in jedem Fall doch bei Johnnys Beerdigung, oder nicht?«
    Er lächelte traurig. »Soll das heißen, daß wir schon in dem Alter sind, wo man sich nur noch zu Beerdigungen trifft?«
    »Noch nicht ganz, Jakob. Es sieht nur so aus, gerade jetzt.«
    Dann überließ ich ihn dem Wüten der Waschmaschine. Sie war schon dabei zu schleudern und näherte sich ernsthaft einem Infarkt, wenn nicht jemand sie wieder ruhigstellte.
    Ich fühlte mich auch nicht ganz so ruhig, als ich ging.

26
    Ich ging am Wachtmeister in der Eingangshalle mit einer Miene vorbei, als hätte ich eine Passepartout-Karte, nahm den Fahrstuhl zur Kriminalabteilung und klopfte an die verschlossene Tür von Vegard Vadheims Büro.
    Ein unbestimmbarer Laut tönte zu mir heraus, und nach einem Augenblick klopfte ich noch einmal.
    »Komm rein!« ertönte es dieses Mal, klar und deutlich.
    Ich öffnete die Tür.
    Vegard Vadheim war allein. Er saß am Schreibtisch, teilweise verdeckt hinter einem eindrucksvollen Aktenberg. Er schrieb mit wildem Eifer etwas auf ein Blatt Papier, das vor ihm lag. Ich hatte ihn so schon früher gesehen: mit gebeugtem Nacken und energisch, beim Langstreckenlauf.
    Er hatte kaum Zeit, um aufzusehen, aber als er sah, wer es war, setzte er sich gerade hin, legte den Kugelschreiber weg und sagte, nicht ohne einen gewissen säuerlichen Tonfall: »Komm rein, Veum. Ich hatte nicht erwartet, dich zu sehen. So schnell.«
    Ich schloß die Tür hinter mir.
    Er sah auf die Uhr. »Eigentlich erst in ein paar Stunden«, fuhr er fort. Die Augenbrauen hoben sich ironisch, und er

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