Gefangen im Terror (German Edition)
sprach sehr leise, so dass ich seinen Akzent nicht erkennen konnte. Auch er schien uns zu ignorieren. Ich hatte den Eindruck, es könnte sich um einen der Anführer handeln. Vielleicht erwarteten sie demnächst die Erstürmung.
Der andere Terrorist, der mit ihm gekommen war, war noch viel jünger. Er klebte förmlich an dem älteren. Er war sehr schmal und fast noch ein Junge. Er tat mir leid. Sein Gewehr schien für ihn zu groß zu sein und seine zusammengepressten Lippen verrieten große Unsicherheit.
Trotz der Müdigkeit und Schmerzen in allen Knochen konnte ich nicht einschlafen, meine Nerven waren wundgescheuert und jedes Geräusch drang mir bis ans Herz. Wenigstens Ismael verriet durch seine ruhigen Atemzüge, dass er eingeschlafen war. Die Kinder verhielten sich trotz des schrecklichen Durstes und Hungers sehr diszipliniert. Sie waren meistens ruhiger als die Erwachsenen.
Es war die zweite Nacht in dieser Schule. Draußen fielen wieder Schüsse. Der „Araber“ blickte durch sein Zielfernrohr und schoss einige Male hinaus. Ich dachte wieder an Chamil und hoffte, dass er nicht da draußen war und getroffen wurde.
Nach dieser Schießerei steckten die beiden Wachen wieder die Köpfe zusammen und ich meinte den Namen „Achmed“ verstanden zu haben. Mir fiel Chamils Freund ein. Ich wusste nicht, wie dieser Freund aussah. Aber erstens war Achmed ein häufiger Name und außerdem wäre es ein großer Zufall, wenn dieser Mann Chamils Freund war. Ich ließ den Gedanken wieder fallen. Zudem war Chamil nicht mit einem Terroristen befreundet.
Trotzdem sah ich mir diesen Mann genauer an. Er hatte feingliedrige Hände und einen Kurzhaarschnitt, aber nicht so kurz geschoren, wie die anderen Terroristen. Wenn er sprach blitzten seine weißen Zähne. Wäre er kein Terrorist gewesen, hätte er mir gefallen können.
Plötzlich streifte mich sein Blick. Ich hatte ihn unverwandt angestarrt und er musste es bemerkt haben. Ich blickte schnell zur Seite und fühlte, wie ich rot wurde. Ich hoffte, dass er es nicht gesehen hatte.
Chamil war tatsächlich da draußen. Er erwiderte das Gewehrfeuer nicht. In einem leerstehenden Haus in der Nähe der Schule hatte er sich einquartiert. Er wusste, dass Fatma in der Schule war. Es gab keine Möglichkeit für ihn hineinzukommen oder einzugreifen.
Als ihn die Miliz in dem Haus fand, wollte sie ihn zunächst festnehmen. Aber als er seinen Presseausweis zeigte und erklärte, dass seine Verlobte in der Schule gefangen war, hatten sie Verständnis und er durfte sogar seine Waffe behalten. Es waren keine weiteren Erklärungen nötig. Die Miliz hatte andere Probleme. Nachdem die Bevölkerung nicht abzuhalten war, so nahe wie möglich an das Geschehen heranzukommen, war die Absperrung der Schule immer weiter zurückverlagert worden, um dem Gewehrfeuer zu entkommen. Zu viele Angehörige der Beslaner Bevölkerung waren in dieser Hölle. Es hatte immer wieder Verletzte in der Absperrung gegeben, weil Eltern blindlings auf die Schule zugelaufen waren.
Als die Geiselnahme begann, waren die ersten Schüsse in der Nähe von Fatmas Elternhaus gefallen, das nur einen Steinwurf von der Schule entfernt lag. Fatmas Vater war hinüber gerannt, aber wie viele andere, wurde er sofort unter Beschuss genommen. Er hatte sich hinter ein Fahrzeug retten können. Als er die vielen vermummten Gestalten rennen sah, wurde ihm klar, dass er als Einzelner nichts ausrichten konnte, außerdem war er ein friedlicher Mann und zu alt zum Kämpfen.
Er beobachtete eine Zeitlang das Geschehen auf dem Schulhof und ging dann zu seiner Frau zurück, um ihr zu berichten. Seine Stimme versagte ihm fast, als er erzählte, was er gesehen hatte. Fatmas Mutter starrte ihn ungläubig an. „Warum die Schule?“, stieß sie hervor, dann sank sie auf einen Stuhl. Sie machte sich schreckliche Sorgen um ihre älteste Tochter. "Wo ist Fatma?", stieß sie hervor. "Hast Du sie gesehen?" Tränen traten in ihre Augen. Sie warf sich auf den Diwan und begann zu klagen. Fatmas Vater versuchte nicht, sie zu beruhigen, auch er konnte seine Tränen kaum zurückhalten. Was, wenn Fatma bereits unter den erschossenen Personen war, die auf dem Schulhof herumlagen? Wie hätte er jemals seiner Frau wieder unter die Augen treten können, wenn er nicht wenigstens versucht hatte, das zu verhindern?
Wenn sie es sich all die Jahre auch nicht hatte anmerken lassen, Fatma war immer ihr Liebling gewesen. Sie war anders als die übrigen Mädchen ihrer
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