Gefangen im Terror (German Edition)
herunter, ich hatte das Gefühl, gleich laut schreien zu müssen. Die Frauen um mich herum weinten lautlos, eine hielt ihr Kind im Arm und wiegte es hin und her. Es war ein Junge von ca. sieben Jahren. Sein Kopf hing leblos auf ihren Armen. Die Augen und der Mund standen offen. Dieses Kind war tot. Erneut krampfte sich mein Magen zusammen. Der Schmerz durchfuhr mich wie ein Schwert. Wir mussten hier raus, egal wie, sonst würden wir alle sterben.
Nachdem die Toten weggebracht waren, kehrten die beiden Wachen an ihren Platz in die Ecke des Ganges zurück, keine drei Meter von mir entfernt. Sie sahen genervt aus. Der „Araber“ hatte Schweißperlen auf der Stirn. Sein Blick ging unruhig hin und her. Sie hatten sich nicht am Aufräumen beteiligt, sondern nur schroff Kommandos an die anderen Terroristen gegeben, sie angetrieben, damit die Leichen und Verletzten so schnell wie möglich entfernt wurden.
Niemand wusste, wohin sie die verletzten Kinder und Frauen gebracht hatten. Die verschiedenen Explosionen hatten ein verheerendes Blutbad angerichtet. Aus der Turnhalle drang immer noch lautes Stöhnen.
Auch zwei Geiselnehmer waren verletzt. Sie saßen direkt vor dem Eingang der Turnhalle auf dem Boden. Eine Frau kümmerte sich um sie. Anscheinend war es eine Ärztin. Anscheinend war auch sie eine Geisel. Sie erhielt Verbandsmaterial und gab den Verletzten Spritzen in die Arme. Ich beobachtete, wie sie mit den anderen Geiselnehmern verhandelte, um auch Medikamente für die verletzten Geiseln zu erhalten. Aber sie lehnten ab. Die Ärztin wirkte sehr niedergeschlagen. Sie musste, nachdem sie mit den Terroristen fertig war, wieder zu den anderen in die Turnhalle gehen.
Die verkabelten Bomben über uns an der Decke und am Ende des Ganges hatten sich bereits gelockert und hingen jetzt sehr tief über unseren Köpfen. Die Klebestreifen hatten durch die Hitze nachgegeben. Wenn sie auf uns herunterfielen, wäre es das Ende.
Meine Armbanduhr zeigte halb 10 Uhr morgens. Die Wachen machten einen erschöpften Eindruck, einer hatte sich hingesetzt und sein Gewehr vor sich auf dem Boden abgelegt. Der „Araber“ spähte wieder durch die verbarrikadierten Fenster hinaus. Ich nahm mir vor, falls die Terroristen unseren Gang noch einmal verlassen sollten, zu fliehen. Ich würde die Treppe hoch rennen und aus dem Fenster springen. Notfalls auch ohne Ismael. Meine Nerven lagen bloß, mein Körper war eine träge leblose Masse und der Durst hatte mich zermürbt.
Ismael war kurz vor dem Verdursten. Seine Lippen waren von Herpesbläschen gesäumt und sein Atem ging kurz und stoßweise. Ich wusste, dass ich ihm nicht helfen konnte. Jeder Lebensmut hatte mich verlassen. Wir würden sowieso alle sterben, wenn die Schule nicht in den nächsten Stunden befreit würde. Es erschien mir besser, durch einen Schuss zu sterben, als hilflos dahinzusiechen. Der Traum von einem besseren Leben war vorbei.
Die Geiselnehmer hatten uns von Anfang an gesagt: „Ihr seid nichts wert. Niemand wird euch helfen.“ Diesem Inferno würden wir nicht entkommen. Es wurde allmählich zur Gewissheit, dass wir auch von außen keine Hilfe erwarten konnten. Am Ende würden die Geiselnehmer auch noch Recht behalten.
Afra neben mir war im Fieber. Ihr verletztes Bein war doppelt so dick wie das andere. Sie würde dieses Bein sicher verlieren, wenn es nicht bald behandelt würde. Sie bewegte sich kaum und stöhnte nur ab und zu.
Achmed oder „der Araber“, wie ich ihn in Gedanken nannte, wirkte abwesend und ich vermied es, ihn anzusehen. Ein paar Mal hatten sich unsere Blicke getroffen und immer war ich zusammengezuckt und hatte ein seltsames Kribbeln im Bauch gespürt. Es konnte doch nicht sein, dass ich ausgerechnet meinen Peiniger attraktiv und anziehend fand. Ein Mann, der mich ohne einen Augenblick zu zögern, töten würde, falls ich eine falsche Bewegung machen würde. Trotzdem hatte sich zwischen mir und ihm eine Spannung aufgebaut, die mich emotional aufgeladen hatte. Mein Körper gehorchte meinem Kopf nicht mehr. Wahrscheinlich war ich durch die ausweglose Situation und den Wassermangel verrückt geworden. Mir wurde übel bei der Erkenntnis, dass ich mir bereits vorgestellt hatte, wie sich die Lippen und Hände dieses Mannes auf meinem Körper anfühlen würden und mich diese Gedanken erregten. Ich schämte mich für meine Verderbtheit. Leise begann ich Suren des Korans zu beten. Beten würde mir vielleicht helfen, nicht mehr denken zu müssen. Ich
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