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Gefangen im Terror (German Edition)

Gefangen im Terror (German Edition)

Titel: Gefangen im Terror (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maya Trump
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wünschte mir, dass Achmed endlich durch einen anderen Terroristen abgelöst wurde, denn seine Gegenwart wurde zur Qual.
    Es war hell und immer noch brannten die Deckenlampen, der dritte Tag unseres Martyriums in dieser unseligen Schule hatte begonnen. Aus der Turnhalle kam eine Frau gelaufen, sie ging zu den Wachen und sprach mit Ihnen. Die Wachen nickten. Ich hatte nicht verstanden, um was es ging. Sie gehörte nicht zu den Terroristen und trotzdem hatten sie die Frau gehen lassen. Kurze Zeit darauf kam sie mit Plastikflaschen unter dem Arm und in den Händen zurück.
    In der Turnhalle riefen die Kinder „Wasser“. Auch wir bekamen ein paar Flaschen zugeworfen, es waren Babyfläschchen. Aber die Flaschen waren leer. Ungläubig starrte ich die Frau an. Wir wollten aufstehen und die Flaschen mit Wasser füllen. Doch es hieß wieder „hinsetzen“. Also was sollten wir damit? Die Frau, die sie uns zugeworfen hatte, drehte sich im Gehen um und sagte: „Urin“. Erwarteten sie tatsächlich, dass die Kinder in die Flaschen urinierten und den Urin dann tranken? Ich erstickte fast an Wut und Scham. Wir waren doch keine Tiere. Was dachten sich diese Bestien eigentlich?
    In weitem Abstand waren vor der Schule Krankenwagen, Ambulanzen und Lastwagen vorgefahren. Chamil schaute auf ein Szenario, das dem einer belagerten Festung ähnelte. Schützenpanzer fuhren vor, Maschinenpistolen wurden in Stellung gebracht. Die Soldaten, die zum Teil Uniform trugen, zum Teil aber in Zivilkleidung unterwegs waren, bewegten sich vorsichtig, immer Deckung suchend. Sie gingen nicht zu nahe an die Schule heran. Sie postieren sich in leerstehenden Häusern und Gärten.
    Chamil verließ sein Versteck, er schlich auf Umwegen zu Fatmas Haus. Dort ist die Familie auf dem Dach versammelt. Von oben hat man einen Blick auf den Schulhof, ohne selbst gesehen zu werden, denn die Mauerbrüstung ist sehr hoch.
    Chamil wird von Fatmas Eltern bestürmt.
    Weiß er etwas über die Verhandlungen, die seit einiger Zeit im Gange sind? Im Fernsehen wurde von einem Unterhändler der Regierung berichtet, der mit den Geißelnehmern in Kontakt war. Es wird damit gerechnet, dass heute das Drama zu Ende gehen soll. Chamil weiß nichts von diesen Verhandlungen. Das, was er gerade vor der Schule gesehen hatte, sah nicht nach Verhandlung sondern nach Erstürmung aus. Moskau sprach in den Nachrichten von 300 Geiseln, was nicht stimmen konnte, nachdem kaum Geiseln frei gelassen worden waren. Die Schule allein hatte insgesamt über 1000 Schüler, die Eltern und Verwandten nicht mitgerechnet, die zur Einschulung am ersten Tag anwesend waren. Die Medien spielten die Sache bewusst herunter. Vielleicht würde man später einmal erfahren, wie viel Tote und Verletzte es bei diesem Drama gegeben hat.
    Es war nicht im Interesse der russischen Regierung, viel Aufheben von der Sache zu machen. Die Anzahl der Geiseln wurde bewusst klein gehalten. Es hatte in der Vergangenheit einige Geiselnahmen gegeben und immer hatte der Staat eingegriffen und für Ordnung und Wiederherstellung der ursprünglichen Zustände gesorgt. Wer dabei auf der Strecke blieb und wie viele Unschuldige es traf, wurde meistens unterschlagen. In den Zeitungen und im Fernsehen war die Berichterstattung genau aufeinander abgestimmt. Der russische Staat war nicht so leicht zu erpressen, wie die Geiselnehmer geglaubt hatten.
    Am Anfang hatten die Geiselnehmer keine Forderungen gestellt. Es war zunächst unklar, was sie eigentlich wollten. Etwas später wurde dann die Freilassung von Terroristen und Gewaltverbrechern gefordert, die in russischen Gefängnissen saßen. Als letzte Forderung wurde schließlich die Aufnahme Tschetscheniens in die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) gestellt. Diese Forderung würde kurzfristig nicht erfüllbar sein. Das wussten auch die Geiselnehmer.
    Damit war für Chamil die Sache besiegelt. Es würde nur Verlierer geben, und zwar auf beiden Seiten: Tote Geiseln, tote Geiselnehmer und eine falsche Presse.
    Der Bericht, den er schreiben würde, durfte nur so viel an Wahrheit enthalten, wie es von Russland akzeptiert werden würde. Sein Chefredakteur war ein treuer Genosse und die Zensur der politischen Berichte war immer noch üblich. Er hatte keine andere Chance, seinen Arbeitsplatz zu erhalten, als das zu schreiben, was man von ihm erwartete. Für einen Tschetschenen war es nicht leicht, abhängig zu sein von russischen Arbeitgebern. Chamil lebte stets im Zwiespalt mit sich selbst.

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