Gefangen in Afrika: Roman nach einer wahren Geschichte (German Edition)
nach Seifenlauge schießt mir noch heute in die Nase. Die Mutter trug einen dunkelblauen Kittel mit lila Blümchen, ihr stand der Schweiß auf der Stirn, während sie mit aller Kraft mit dem Holzstampfer im kochend heißen Bottich herumrührte und sich Schweißgestank unter den Laugengestank mischte. Die Wände des Waschhauses waren feucht, die Fenster beschlagen, sodass wir durch den heißen Dunst bald völlig durchnässt waren. Wie Walfischfänger zogen wir die Wäsche schließlich an langen Stöcken aus dem Kochwasser, ließen sie in eine bereitstehende Zinkwanne mit kaltem Wasser fallen und spülten die Seifenlauge so gut wie möglich aus. Dann hievten wir die tropfnasse, schwere Wäsche mit vereinten Kräften in eine Wringe, wo wir Kinder dann den einen Hebel drehten, während Mutter auf der anderen Seite in die Gegenrichtung drehte. Die kleinen blauen Äderchen an der Schläfe meiner Schwester Sieglinde schwollen an, so sehr drückten und pressten wir. War der letzte Tropfen Wasser aus der Wäsche gewrungen, begann das Wäscherecken. Mutter stand auf der einen Seite des Lakens, wir auf der anderen. Unsere Hände umklammerten je einen Zipfel, und dann hieß es ziehen, bis die Mutter zufriedengestellt war und wir die Wäsche falteten. Wir gingen ein paar Schritte aufeinander zu, sie nahm unsere Zipfel, wir bückten uns rasch und griffen nach dem Lakenschnitt, damit das frisch gewaschene Leinen nicht auf den schmutzigen nassen Lehmboden hing. Dann begann die Prozedur wieder von vorn, bis alle Wäschestücke zusammengefaltet auf einem Haufen lagen. Wir trugen sie zum Handkarren und zogen ihn wieder den kilometerlangen Waldweg hinauf zu unserem Häuschen. Dort wurde die Wäsche in der Stube ausgebreitet, oder, wenn das Wetter günstig war, über eine Stange vor das Haus gehängt. Und wehe, wenn uns Kindern einmal etwas aus der Hand fiel! Wehe, wenn der Wind eines der Teile wieder von der Stange wehte! Wehe, wenn etwas auf den lehmigen Boden fiel! Dann sauste der Teppichklopfer auf unseren nackten Po, der für uns Kinder stets sichtbar in Reichweite stand.
Spätabends wurde dann im Schein der Küchenlampe, die wir erst seit Kurzem hatten, Wäsche geflickt. Das Stopfen der großen Löcher in den Socken war das Schlimmste. Wehe, wenn unsere kleinen Hände nicht das gewünschte Muster über dem Stopfpilz zustande brachten und sich ein Garnknubbel über der Ferse bildete! Schließlich musste Vater in diesen Socken zwölf Stunden am Tag arbeiten. Wenn uns die Kunst des Stopfens nicht gelang, gab es von der Mutter Kopfnüsse, harte Schläge mit der flachen Hand auf den Hinterkopf und in den Nacken. Fielen uns Kindern bei der mühsamen Arbeit die Augen zu, wurden wir davon auf unsanfte Weise wieder geweckt.
Meine Mutter Karoline war vom Leben enttäuscht. Die Geburten ihrer beiden Töchter waren die Hölle gewesen, es hatte ihr beide Male fast den Leib zerrissen. Ich weiß noch, wie ich im Gitterbett stand, an einem nassen Zuckertuch lutschte und zusah, wie sie morgens ihre inneren Organe, die keinen Halt mehr in ihrem ausgeleierten Bauch fanden, mithilfe enger kratziger Bandagen fest zusammenzurrte, mit schmerzverzerrtem Gesicht und voller Selbstverachtung. Ich wagte es schon als Kleinkind nicht, Bedürfnisse anzumelden. Ich hatte keine. Auf der Welt sein bedeutete schuften, hungern, leiden und dulden. Stillhalten und bloß nicht aufmucken. Am besten, man erregte keinerlei Aufmerksamkeit.
Meine Geburt war die zweite große Enttäuschung für Gottlieb gewesen: wieder nur ein Mädchen. Und dann auch noch so ein winziger, dunkeläugiger, dürrer Wurm, über und über mit schwarzen Haaren bedeckt! Ein Kind, mit dem man als einfacher Arbeiter keinen Staat machen konnte. Bettelleute waren wir, die von der Hand in den Mund lebten. Im Tal der Ausgestoßenen in der Steinbruchsiedlung.
Mein Vater, Gottlieb Franz, war das jüngste von sechzehn Kindern. Die Geschwister empfanden ihn als überflüssigen Esser. Solange er die Mutterbrust bekam, war er ihnen egal, aber als er groß genug war, mit am Tisch zu sitzen, versteckten sie seinen Holzlöffel. Tagelang bekam der kleine Gottlieb nichts zu essen. Seine Eltern vermissten ihn irgendwann und befahlen den Geschwistern, den Anderthalbjährigen zu suchen. Sie fanden ihn in einem Winkel des Heuschobers, ausgetrocknet und kraftlos im Stroh. Sie hielten ihn für tot, aber als er sich regte, wurde er an den Tisch getragen und gefüttert. Die Geschwister mussten hungern, bis der Kleine
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