Gefangen in der Schreckenskammer
in ihren verkorksten Gehirnkästen?
Umberto nahm die Tasche auf, legte den
Revolver hinein und holte eine gefüllte Einkaufstüte heraus.
„Hier ist was zu essen und eine Flasche
Cola. Mach’s dir gemütlich.“
„Wollt ihr mich hier lassen?“
„Was denn sonst?“
„Wenn ich hier noch länger bleibe, hole
ich mir eine Lungenentzündung. Bitte, laßt mich gehen.“
Die Masken wandten sich einander zu.
Offenbar tauschten sie auf diese Weise Blicke.
„Heute abend lassen wir dich frei“,
sagte Severin. „Denn mehr Angst als jetzt können wir dir nicht verabreichen.
Sonst bleibst du auf der Strecke. Technisch ist deine Freilassung nicht ganz
einfach. Wir müssen warten, bis es dunkel ist. Zu unserer eigenen Sicherheit.
Dann werden dir die Augen verbunden. Irgendwo in der Stadt setzen wir dich aus.“
Umberto nahm die Tasche, Severin die
Laterne.
Sie schlossen Gaby ein, stiegen die
Treppe hinauf und gelangten in das Erdgeschoß eines baufälligen Hauses.
Das Gebäude, eine ehemalige Villa,
stand in einer Mulde, etwa 15 Kilometer von der Stadtgrenze entfernt. Das
Gelände ringsum war häßlich. Stadtwärts lag das Industrieviertel mit seinen
qualmenden Schloten.
Vor einem Jahrhundert hatte ein
Fabrikant die Villa ,Marienburg’ erbaut. Nun stand sie schon lange leer. Sie
verfiel. Niemand kümmerte sich darum. Einen Käufer für Gebäude und umliegendes
Grundstück zu finden, war aussichtslos. Aus besonderem Grund.
In der Nähe hatte man — verborgen unter
einer dünnen Erdschicht — Fässer mit hochgiftigen, industriellen
Abfallprodukten gefunden. Ein Umweltskandal, der damals die Gemüter erregt
hatte. Etliche Fässer waren ausgelaufen. Der Boden galt als verseucht.
Deshalb wurde diese Gegend gemieden.
Niemand kam her. Umberto und Severin konnten sicher sein, daß ihre
Schreckenskammer unentdeckt blieb.
In der Veranda legten sie ihre
Kostümierung ab: Umhänge, Masken, Handschuhe. Alles wurde in einen Koffer
gepackt.
„Phantastisch!“ meinte Severin. „Ich
fühle mich unheimlich gut. Habe mich noch nie so gut gefühlt wie jetzt als
Angstforscher. Eines Tages wird das ein wissenschaftliches Fach. Mit echten
Versuchen. Und zwar auf der Grundlage wie hier bei uns. Wissenschaft ist das.
Und du Armleuchter gibst ihr recht!“
„Was?“ schnappte Umberto. „Wieso bin
ich ein Armleuchter?“
„Sie nennt uns Sadisten. Du sagst, ein
bißchen Wahres sei dran. Ein bißchen Sadismus sei die Würze des Lebens. Dagegen
verwahre ich mich. Ich bin Angstforscher.“
„Mach dich nicht lächerlich!“ Umberto
schloß den Koffer. „Dir schwillt doch die Brust, wenn sich deinetwegen jemand
in die Hose macht. Ist das vielleicht Wissenschaft, heh? Und überhaupt: Warum
haben wir uns denn gerade die Glockner gekascht, heh? Nicht wegen der
Angstforschung. Sondern um ihr den Hochmut zu knicken. Damit sie die Nase nicht
so hoch trägt. Und vor allem damit ihr Freund — der Mistkerl — in seinem
Sweatshirt Fracksausen kriegt. Deshalb! Aus Wut und Rache haben wir sie
malträtiert (gequält) .“
Severin knurrte. „Bei mir spielt noch
was anderes eine Rolle.“
„Aha?“
„Ich liebe das Prickeln der Gefahr.“
„Ich auch.“
„Aber nicht so wie ich.“
„Mindestens so. Wollen wir wieder
darüber streiten?“
„Mit dir kann man nicht reden.“
„Heute abend nimmst du die
Totenkopfmaske.“
„Weshalb?“
„Weil mir die Nasenlöcher nicht passen.
Ich kriege kaum Luft darunter.“
„Von mir aus.“
Sie gingen ins Freie. Den Koffer nahmen
sie mit.
Hinter dem Gebäude parkte ihr Wagen.
Das Gelände ringsum war schneebedeckt.
Einige Baumskelette standen noch auf
dem verseuchten Boden. Aber sie standen nur, wuchsen nicht mehr und trugen auch
im Sommer keine Blätter.
*
Tim saß neben Kommissar Glockner auf
dem Beifahrersitz. Karl und Klößchen hingen im Fond.
Schneewolken trieben über der Stadt. Ab
und zu blinzelte die Sonne durch. Ab und zu fielen Flocken.
In der Kannengießer-Straße zirpte das
Sprechfunkgerät unter Glockners Armaturenbrett.
Er nahm den Hörer ans Ohr und meldete
sich.
„Wollte nur mitteilen“, ließ sich die
Stimme von Kriminal-Assistent Jansen vernehmen — deutlich für alle, „daß ich
auf dem Posten bin. Ecke Mozart-Park. Theo Lambster hält sich im Garten auf. Und
er benimmt sich seltsam.“
„Was meinen sie mit seltsam, Jansen?“
„Vielleicht schnappt er über. Er rennt
auf und ab, scheint Selbstgespräche zu führen. Vielmehr: Er
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