Gefangen
Schüleraustausch-Konzerten“, fügt sie abfällig hinzu. „Aber wenn dann noch Sängerinnen vom Kaliber des St.-Joseph’s dabei sind, die uns Dorftrotteln zeigen, wo der Hammer hängt, dann geht denen echt einer ab. Obwohl’s ja nicht direkt ’ne Strafe wäre, Paul Stenborg an die Wäsche zu gehen. Auf den sind doch alle scharf und er soll ja auch kein Kostverächter sein. Anscheinend geht er mit seinen Lieblingen immer ‚Kaffee trinken‘.“ Ihr Tonfall ist abgrundtief gehässig, aber vielleicht ist es auch nur der blanke Neid.
Ihr Gift dringt allerdings kaum zu mir durch, weil mich etwas ganz anderes beschäftigt: Singen?
Ich schlucke krampfhaft, als wir auf den überfüllten Parkplatz der einzigen Karaoke-Bar von Paradise einbiegen.
„Ich kann das nicht“, zische ich Ryans breitem Rücken zu, als wir unsere Jacken bei dem spärlich bekleideten Garderobenmädchen lassen und den Eintritt von zwölf Dollar pro Person bezahlen, in dem unbegrenzt Softdrinks enthalten sind.
Gerade als Ryan sich zu mir umdrehen will, zerrt Brenda ihn an der Hand und sagt fröhlich: „Los, komm! Vielleicht wird es heute ja doch noch ganz lustig.“
An der Bar sitzen ein paar schmierige, mittelalte Typen, die Brenda lüsterne Blicke zuwerfen. Wir gehen rasch nach hinten in einen privaten Veranstaltungsraum. Die Deko ist kitschig, lauter Luftballons und zwei Discokugeln, die Lichtsplitter an die Wände werfen. Ein riesiger, wandgroßer Videomonitor beherrscht den Raum. Davor steht eine kleine Bühne, die mit kastanienbraunem Samt ausgeschlagen ist. Zwei Schüler aus der Paradise High stehen halb der Bildschirmreihe zugewandt und singen einander schmachtend an: „ … m y … endles s … Love“. Gutmütiges Gekicher und Zwischenrufe dringen aus der Menge zu ihren Füße n – alles Teenies, die sich an ihre Softdrinks klammern.
Wie immer nehme ich viel zu viel auf einmal wahr und entdecke auf Anhieb ein Knäuel Erwachsene, die dicht beieinanderstehen. Ich erkenne Miss Fellows, Miss Dustin, Gerard Masson und Laurence Berry und ein paar wachsame Väter und Mütter, die sofort schmale Augen bekommen, als Ryan Daley auftaucht. Auch von den Teenies zeigen jetzt einige auf ihn, starren ihn an, und manche tuscheln miteinander. Ryan war nie ein Chorknabe, so viel steht fest. Brenda zerrt ihn praktisch im Triumphzug durch den Raum. Er wirft mir einen entschuldigenden Blick zu.
Es müssen an die hundert Leute hier sein. Tiffany Lazer und ihre St.-Joseph’s-Clique sind gekommen, auch die beiden Groupies von Brenda, mit Todd und dem Pickeltyp im Schlepptau. Er hat mich noch nicht gesichtet, deshalb senke ich schnell den Kopf und quetsche mich in entgegengesetzter Richtung durchs Publikum, heilfroh, dass ich allein bin.
In dem grellen Licht ist der Schimmer auf meiner Haut zum Glück nicht zu sehen. Ich überzeuge mich davon, dass es nur einen Ausgang gibt, in der Hoffnung, dass ich mich bei der nächstbesten Gelegenheit verdrücken kann. Das grandiose Finale der „Endless Lovers“ wird jetzt mit einer lahmen Runde Applaus quittiert und das nächste Opfer tritt ans Mikrofon.
Im selben Moment taucht ein Typ neben mir auf, den ich nicht kenne, drückt mir einen Drink und eine eingeschweißte Liste in die Hand und sagt: „Mann, wo bleibst du denn? Wir warten schon alle auf dich. Du bist gleich dran. Also, wähl schon mal aus!“ Da weiß ich, dass ich in der Klemme sitze.
Ich kippe schnell den Inhalt meines Plastikbechers hinunter, und der Typ grinst mich breit an und hält bewundernd seinen Daumen hoch. In der Cola muss was drin sein, merke ich jetzt, weil er hinter dem Rücken der Erwachsenen eine verstohlene Torkelbewegung mit der Hand macht. Bevor ich ablehnen kann, habe ich einen zweiten Becher in der Hand. Der Typ schaut mich erwartungsvoll an. Er will, dass ich das Zeug wieder in einem Zug hinunterkippe.
„Direkt vor ihrer Nase“, sagt er zufrieden und tippt sich an den Nasenflügel. „Ich bin übrigens Bailey.“
Die gepanschte Cola schmeckt nicht schlecht, und während ich die klebrige Songliste durchblättere, kippe ich vor lauter Stress und Angst drei weitere Drinks hinunter. Bailey starrt mich ungläubig an, dann verschwindet er, um Nachschub zu holen.
Als Tiffany zu singen anfängt, reiße ich den Kopf hoch. Es ist ein Song mit einem großen, schmetternden Backgroundchor, jeder Menge Herzschmerz und Liebeskummer und einem schnellen, hämmernden Beat. Genau das, was beim Publikum gut ankommt, besonders bei den
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