Gefangen
Reihenfolge. Ich kann mir vorstellen, was in Stewart Daley vorging, als er sich diese Sicherheitsmaßnahmen ausdachte, aber es ist vollkommen sinnlos. Weder die Hunde noch die Kette können Lauren je zurückbringen.
Als der Wagen endlich steht, öffne ich die Beifahrertür, die Hunde nehmen meinen Geruch auf und fangen an zu winseln, dann knurren und heulen sie los. Sie knallen mit ihren Gewehrkugelköpfen und ihren harten, muskulösen Körpern gegen das zugesperrte Seitentor, als hätten sie den Verstand verloren.
„Willkommen zu Hause!“, sagt Ryan und hilft mir aus dem Auto.
Wir gehen die Treppe hinauf in Laurens Zimmer. Nur auf dem oberen Treppenabsatz brennt ein trübes Nachtlicht, ansonsten ist es stockdunkel im Haus und totenstill. Die Schlafzimmertüren, alle einförmig weiß, sind ordentlich geschlossen wie immer, wenn ich von der Schule nach Hause komme. Ich stelle mir vor, wie Mr s Daley still im Haus herumgeht und Ordnung macht, Tag für Tag. Wie sie alles wieder an seinen Platz stellt. Nur eines kann sie nicht zurückbringen: das, woran ihr Herz am meisten hängt.
„Du bist doch hoffentlich nicht zu müde zum Reden?“, fragt Ryan, während er mir über den Flur zu Laurens Zimmer folgt.
Mir ist nicht danach, Fragen zu beantworten, aber ich bin froh über seine Gesellschaft. Mehr als froh. Das wird langsam zur Gewohnheit, und dieser Gedanke macht mich so nervös, dass ich ihn anfauche: „Ich bin selten müde.“
Er nimmt meine Worte als ungnädige Zustimmung und so sind sie ja auch gemeint. In Wahrheit bin ich natürlich doch müde. Ich schlafe in letzter Zeit nicht gut, obwohl ich tagsüber kein bisschen weniger wach bin.
Ich drehe den Türknopf mit meiner schimmernden Hand. Als ich drinnen das Licht anknipse, sehe ic h … M r Daley. Er steht mitten im Zimmer seiner Tochter, die Wange in ein kurzes weißes Nachthemd geschmiegt, das einmal Lauren gehört haben muss. Ein leises Gurren dringt aus seiner Kehle, das eisige Schauer über Carmens Rücken jagt.
Kapitel 14
„Mein Gott, Dad!“, zischt Ryan und wirft einen Blick über die Schulter zur geschlossenen Schlafzimmertür seiner Eltern. „Was zum Teufel machst du da? Mannomann!“
Stewart Daleys Augen sind offen, seine Wangen tränenverschmiert, aber seine Gesichtszüge wirken seltsam schlaff. Ich bewege meine Hand vor seinem Gesicht hin und her, doch er gurrt weiter und wippt auf den Fersenballen. Ich umkreise ihn ein paarmal, um ganz sicherzugehen.
„Er is t … ä h … gar nicht da“, murmle ich schließlich.
„Wieso? Wie meinst du das?“, fragt Ryan scharf.
Er reißt seinem Vater das verblichene Nachthemd aus den Händen und wirft es auf Laurens Bett, dann packt er ihn und rüttelt ihn an den Schultern. Die beiden stehen sich auf Augenhöhe gegenüber, völlig blind füreinander.
Laurens Schrank ist offen, die automatische Innenbeleuchtung an. Ich gehe vorsichtig an Ryans Vater vorbei und hebe das Nachthemd auf, werfe es hinein und schließe die Tür.
„E r …“ Wie heißt das Wort noch mal? „Er schlafwandelt.“
Ryan zuckt zusammen, als hätte er einen elektrischen Schlag bekommen, und lässt seinen Vater los. „Und ich dachte, damit ist es vorbei“, sagt er nach einer langen Pause. „Seit über einem Jahr hat er das nicht mehr gemacht. Nur damals, in der ersten Zeit nach Laurens Entführung, haben wir ihn öfter beim Schlafwandeln ertappt.“ Wieder verstummt er, als müsste er sich seine Worte sorgfältig überlegen. „Mum und ich haben ihn nie drauf angesprochen und nach einer Weile hat es auch aufgehört. Im Wachzustand hat er sich an nichts erinnert.“
„Das wird diesmal genauso sein“, sage ich leise, nehme M r Daley am Arm und drehe ihn langsam in Richtung Flur. Er tappt los, ohne einen Laut von sich zu geben, die Augen leer wie zwei dunkle Löcher.
Ryan stürzt den Flur entlang zum Schlafzimmer seiner Eltern. Ein leiser, aufgeregter Wortwechsel dringt heraus. Dann taucht Mr s Daley auf, noch skelettähnlicher als sonst in ihrem weißen Piquet-Bademantel. Ihr Gesicht ist kalkweiß ohne das perfekte Make-up, ihr dunkles Haar vom rastlosen Hin- und Herwälzen zerzaust. Sie nimmt die großen Hände ihres Mannes in ihre, Ryan stützt ihn auf der anderen Seite, und so führen sie ihn ins Schlafzimmer zurück und setzen ihn auf den Rand des Ehebetts. Ryans Mutter sieht mich dabei die ganze Zeit kein einziges Mal an. Sie zieht sachte die Schlafzimmertür zu, bis nur noch ein schmaler cremefarbener
Weitere Kostenlose Bücher