Gefangene deiner Dunkelheit
der Nebel war der Ort, an den die Karpatianer nach dem Tode gingen. Der Ort, an dem Manolito teilweise noch immer war. »Wie kann man jemandem an einen solchen Ort folgen?«
Manolitos Augen flackerten. »Damals hieß es, dass nur die mächtigsten Krieger oder Heiler so etwas versuchten ... oder Liebende – Gefährten –, und trotzdem hätte jeder von uns mit Freuden den Versuch gewagt. Und anscheinend ist es ja auch möglich. Gregori hat es geschafft, und du auch.«
MaryAnn war nicht einmal bewusst gewesen, was sie getan hatte, als sie jene andere Welt betreten hatte. Manchmal wollte sie noch immer nicht ganz glauben, dass es sie überhaupt gab. »Ich wusste es nicht.«
»Allem Anschein nach ist es gefährlich für jemanden, der noch nicht tot ist.«
Sie schenkte ihm ein widerstrebendes kleines Lächeln. »Vielleicht ist es gut, dass ich das nicht wusste. Aber keiner von euch konnte Ivorys Weg verfolgen, weil ihr nicht ihren Leichnam hattet.«
»Wenn der Geist den Körper verlässt, muss er behütet werden, bis der Geist zurückkehrt und wieder in ihn eindringt, weil unsere Feinde uns sonst für immer in der anderen Welt gefangen halten können.« Er zuckte mit den Schultern. »Es genügt zu sagen, dass nur die Toten dorthin gehen. Ein Lebender muss schon einen sehr gewichtigen Grund haben, um es zu versuchen.«
»Dann war es das, was Gregori und deine Brüder wagten. Sie folgten dir ins Reich der Schatten und brachten deinen Geist zurück«, fasste MaryAnn zusammen, um besser zu verstehen. Manolito war also teilweise noch immer in der Schattenwelt. Wenn es so war, musste sie einen Weg finden, ihn wieder ganz in ihre Welt zurückzubringen. Und ihr war klar, dass das ihre Möglichkeiten bei Weitem überstieg.
»Ja, aber dazu hatten wir bei Ivory keine Chance. Sie war für immer für uns verloren, und wir begannen, Vlad Dubrinskys Urteilsvermögen ernsthaft infrage zu stellen. Er hatte kein Recht, sich in Familienangelegenheiten einzumischen. Es ergab keinen Sinn für uns. Wenn sein Sohn geistesgestört war und er nichts unternahm, wäre es dann nicht möglich, dass auch er nicht frei von diesem Wahnsinn war? Je mehr wir darüber diskutierten, was er getan hatte, desto größer wurde unser Zorn. Wir fingen an, uns Möglichkeiten auszudenken, seine Herrschaft zu beenden. Ein Schritt führte zum nächsten. Uns wurde klar, dass die anderen, mit uns verbündeten Spezies vielleicht an Dubrinskys Seite kämpfen würden, um ihn als Regenten zu behalten, und dass die Karpati-aner sich entzweien würden. Deshalb suchten wir nach einem Weg, um alle anderen loszuwerden. Die Jaguarmänner blieben nie bei ihren Frauen. Die Frauen gingen bereits mit Menschen eine Partnerschaft ein und entschieden sich dafür, ihre menschliche Gestalt nicht aufzugeben. Es wäre also kein Problem, dachten wir, die restlichen Frauen gegen ihre Männer aufzubringen und aus der Brutalität der Jaguarmänner Kapital zu schlagen.«
»Was dann letztendlich ja auch geschah.«
Manolito nickte. »Und es kam sogar noch schlimmer. Heute besteht keine Hoffnung mehr, die Jaguarspezies zu retten. Selbst wenn zehn Paare überleben würden, wären es zu wenige, um die Spezies vor dem Aussterben zu bewahren.«
»Die Evolution könnte dabei eine größere Rolle gespielt haben, als du glaubst. Dass ihr von einem Plan spracht, der im Grunde nur eine rein theoretische Überlegung war, bedeutet nicht, dass ihr die Verantwortung für das Aussterben dieser Spezies tragt. Ihr seid nicht Gott, Manolito.«
»Nein, aber wir haben auch nichts unternommen, um dem Jaguarvolk begreiflich zu machen, dass es sich selbst zerstörte. Wir haben es allein gelassen, und währenddessen setzten die Brüder Malinov den Plan in die Tat um und begannen, ihren Beitrag zum Aussterben des Jaguarvolks zu leisten. Wenn sie das getan haben, welche anderen Teile des Plans mögen sie dann auch noch in Bewegung gesetzt haben?«
MaryAnn wartete und beobachtete, wie sich Manolitos Gesicht umwölkte und er seine Finger knetete, als schmerzten sie. In seiner Stimme schwang jetzt etwas mit, das wie ein leises Knurren klang und mindestens genauso sexy war wie seine samtige, hypnotische Stimme. Die ungewohnte Note prickelte auf ihrer Haut und machte sie ganz unruhig.
»Die Menschen fürchten Karpatianer, weil sie Vampire fürchten. Von irgendwoher musste die Legende kommen. Das Ge-tuschel und die Gerüchte über Morde und Gräueltaten nahmen zu, bis die Karpatianer nicht länger Verbündete der
Weitere Kostenlose Bücher