Gefangene deiner Dunkelheit
Rücken abzuschütteln. Vielleicht könnte sie, falls sie Luiz wiederfand, mit seiner Hilfe den kleinen Flugplatz finden und den Piloten dazu überreden, sie in die Zivilisation zurückzufliegen. Vorausgesetzt, dass ein Pilot da war. Und ein Flugzeug. Sie wusste nicht einmal das, aber vielleicht konnte Luiz es ihr sagen.
Ein Funke von Zorn flackerte in Manolitos schwarzen Augen auf, und plötzlich packte er sie und warf sie über seine Schulter, ging mit ihr in das kühle Haus hinein und trug sie durch die Eingangshalle und die breite Freitreppe hinauf zu einem riesigen Zimmer, das ganz aus Glas und Marmor zu bestehen schien.
MaryAnn war so schockiert, dass ihr die Worte fehlten, aber dann verspürte sie auf einmal eine grauenhafte Wut im Bauch. MaryAnn, die niemals zu Gewalt griff, die Gewalt hasste und verabscheute, ja sogar Opfer von Gewalt beriet, wollte diesen Mann zusammenschlagen, bis er sich nicht mehr rühren konnte.
Es war unglaublich demütigend, wie ein Sack Mehl über der Schulter durch das Haus geschleppt zu werden! Sie trommelte mit den Fäusten auf seinen Rücken und wurde nur noch aufgebrachter, als er nicht einmal zusammenzuckte. »Lass mich runter, auf der Stelle!«, zischte sie und riss an seinem Hemd. »Das ist mein Ernst, Manolito. Ich würde sterben, wenn irgendjemand mich so sähe.« Der Gedanke war zutiefst beschämend.
»Es ist niemand im Haus«, versicherte er ihr, besorgt über die Verzweiflung, die in ihrer Stimme mitschwang. Wut war eine Sache, aber Verzweiflung eine völlig andere. »Riordan und Juliette müssten bei ihrer Schwester und Cousine im Dschungel sein. Und da du schon so höflich bittest...« Manolito setzte sie ab und trat mit einer geschmeidigen Bewegung schnell zurück, falls sie zu einem Schlag ausholte.
Aber MaryAnn zog nur ruhig und würdevoll ihre Jacke und ihr Shirt zurecht. »War diese Zurschaustellung von Männlichkeitswahn wirklich nötig?« Ihre Stimme war voller Sarkasmus. Wenn sie ihn nicht schlagen konnte, wie er es verdiente, konnte sie ihn wenigstens verbal heruntermachen. Sie war sehr gut in Wortgefechten.
Manolito starrte auf ihr zorniges Gesicht. Sie war bezaubernd schön mit ihrer makellosen, milchkaffeefarbenen Haut, die so weich und zart war, dass er sie bei jeder Gelegenheit berühren musste. Seine Gefährtin. Er kostete die Worte aus. Ließ sie tief in sein Bewusstsein eindringen. Sie gehörte zu ihm, war für ihn geschaffen. Sie war ganz allein die Seine, bis ans Ende aller Zeiten.
Sie hatte ihm Farben und Gefühle zurückgegeben, nach Hunderten von Jahren, in denen er darauf hatte verzichten müssen. Und sie hatte keine Ahnung, was sie für ihn bedeutete. Sie stand dort vor ihm, eine kleine Wildkatze von einer Frau, mit ihren glänzenden, mitternachtsschwarzen Locken und den braunen Rehaugen, die so unschuldig und verletzlich waren. Ein überwältigendes Verlangen durchzuckte ihn, eine gnadenlose und gefährliche Begierde – aber etwas völlig anderes beschlich sein Herz. Etwas Weiches, Sanftes, obwohl er Empfindungen wie Zärtlichkeit schon längst vergessen hatte.
»Es schien mir das Praktischste zu sein, um aus der frühen Morgensonne herauszukommen.«
»Deine Mama hat dir wohl gar keine Manieren beigebracht?« MaryAnn versuchte, ihren Ärger aufrechtzuerhalten, doch das war fast unmöglich, wenn er sie so eigenartig ansah, als wäre sie ... alles für ihn. Furcht beschlich sie, das Bedürfnis, in Tränen auszubre chen, weil sie die Entschlossenheit in seinem Geist spüren konnte, sie wieder zu verlassen und sich unter die Erde zu begeben. Dorthin konnte sie ihn nicht begleiten, was bedeutete, dass sie allein zurückbleiben würde.
Er trat einen Schritt auf sie zu, weil er ihre Verzweiflung offensichtlich spüren konnte.
MaryAnn hob eine Hand, um ihn zurückzuhalten, denn sie wusste nicht, wie sie reagieren würde, wenn er sie berührte. Sie hatte noch niemals auch nur daran gedacht, sich einem Mann körperlich hinzugeben, aber Manolito konnte sie mühelos dazu bringen, sich genau das zu wünschen. Er brachte sie dazu, sich nach Dingen zu sehnen, von denen sie zuvor nie geträumt hatte, und das ängstigte sie fast ebenso sehr wie der Gedanke, hier allein zurückgelassen zu werden.
»Sieh dir meine Stiefel an«, sagte sie, um nicht zu weinen, und setzte sich auf einen Sessel, um sie auszuziehen. »Ich habe sie geliebt. Sie waren immer meine Lieblingsstiefel.«
Er kniete vor ihr nieder und schob sanft ihre Hände weg, um ihr selbst
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