Gefangene der Dunkelheit
oder -fiele. Aber sie konnte nicht einfach aufgeben und sich von ihm erwischen lassen.
Sie sah im Fels einen oder zwei Fuß über sich rechts von ihrer Hand etwas glänzen, vielleicht ein Stück Quarz, und bewegte sich darauf zu, nur um ein Ziel zu haben. Als sie hinabblickte, sah sie den Ritter aus dem Gestrüpp hervorbrechen und die Felswand unmittelbar unter ihr berühren, während er die Dornensträucher verfluchte. Sie wandte den Blick ab, wollte sich nicht ablenken lassen.
Ihre Hand schloss sich um den Quarz im Fels, und die vermeintlich feste Klippe um den Stein herum gab nach wie Sand. Der Stein war überhaupt kein Stein. Es war Metall, ein Griff. Sie stützte sich mit ihrer anderen Hand und den Füßen ab, zerrte an ihm und zog ihn aus dem Fels. Es war ein im Mondlicht dumpf schimmerndes Schwert, kaum halb so lang wie das ihres Vaters, aber perfekt für sie.
»Ich habe dich!« Der Ritter ergriff ihren Knöchel und riss sie so abrupt von der Wand herab, dass sie hinfiel, sich beide Knie und die Nase zerschrammte und sich das Handgelenk verstauchte. Aber das Schwert ließ sie nicht los.
»Bist du nicht eine kleine Hübsche?« Er hatte irgendwo im Gestrüpp seinen kübelförmigen Helm abgenommen, sein Gesicht glänzte vor Schweiß und wirkte im Mondlicht wie ein runder, weißer Käse. »Das war eine Jagd.« Er ragte über ihr auf, als sie sich aufrichtete. Eine Faust an die Wand neben ihrem Kopf gestützt, machte er sich bereits an seiner Hose zu schaffen. »Du solltest besser lernen, wie man sich benimmt.«
Sie stieß das Schwert fest aufwärts in seinen Bauch und umklammerte das Heft mit beiden Händen. Hätte er ein Kettenhemd getragen, hätte sie ihm nur einen Kratzer zufügen können – sie war nicht sehr kräftig. Aber es war eine heiße Nacht, und der Kampf war nicht sehr heftig gewesen. Der Ritter hatte seine schwere Rüstung in seinem Zelt zurückgelassen. Die Klinge drang unmittelbar in seine Eingeweide.
Er umklammerte mit einer Hand ihre Kehle, und Siobhan war sich einen Moment lang sicher, dass sie gemeinsam sterben würden. Sie drehte das Schwert, während Farbpunkte vor ihren Augen tanzten, und sein Blick trübte sich. Seine Finger lösten sich, sie wand sich frei und trat beiseite, als er zu Boden stürzte.
»Mord«, flüsterte sie und umklammerte ihre Waffe noch immer. Sie hielt sie hoch und sah das Blut des Normannen auf der matt silbernen Klinge scharlachrot schimmern. »Ich habe einen Mord begangen.« Ein kaltes Zittern schüttelte sie, trotz der warmen Sommernacht, aber sie lächelte. Sie steckte die Klinge in ihren Gürtel und bückte sich dann, um ihre Schuhe zu suchen.
1
Tristan saß auf den Zinnen seines erst zur Hälfte fertiggestellten Schlosses und hielt seine Tochter im Arm. »Waren das böse Männer, Papa?«, fragte Clare und deutete auf die Trophäen, die auf dem Torhaus unmittelbar unter ihnen aufgespießt waren.
»Ja.« Er zog an einem ihrer Zöpfe und drehte ihren Kopf zu sich. »Sehr böse Männer.« Er umarmte sie und küsste sie auf die Stirn. »Darum mussten sie sterben.« Sie war mit ihren fünf Jahren viel zu jung, um die brutale Politik von Heinrichs England zu verstehen oder Zeugin ihrer Auswirkungen zu sein. In Wahrheit waren fünf Jahre ein zu junges Alter, um überhaupt in dieser Wildnis zu leben. Aber der Vater der Kleinen hatte in beiden Fällen keine Wahl.
»Gibt es noch mehr böse Männer in den Wäldern?«, fragte sie und legte eine Hand an seine Wange.
»Ja.« Das war das Problem. Gleichgültig wie viele dieser Briganten er erwischen und bestrafen konnte, schienen immer noch mehr aufzutauchen. Und nun hatte Heinrich bis auf fünf alle Ritter Tristans und mehr als die Hälfte seiner Soldaten abgezogen, um einen Streit in der Bretagne beizulegen – Tristan war der Verpflichtung, sein neues Heim zu verlassen und selbst zu kämpfen, nur durch Bitten und das Versprechen entronnen, im nächsten Krieg ein Heer zu führen. »Aber unser Schloss ist fast fertiggestellt.« Er blickte zu ihr hinab und lächelte. »Das wird die bösen Männer fernhalten.« Vorausgesetzt, er konnte es überhaupt fertigstellen, dachte er und blickte auf den dunkler werdenden Wald hinab. Er hatte bereits jeden Penny seines kargen Erbes ausgegeben. Wenn er nicht bald begänne, von den Dorfbewohnern Steuern zu erheben, würden er und sein Haushalt einschließlich der kleinen Clare verhungern. Aber unter den Bauern in diesem gottverlassenen Grenzland machten sich bereits erste
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