Gefangene der Flammen
hatte immer das Gefühl, ihre Mutter beschützen zu müssen, weil sie so vertrauensvoll war.
Annabel blinzelte, und der misstrauische Blick verschwand und wich einem Lächeln für Ben Carver. Riley kam es ein bisschen so vor, als geriete ihre Welt ins Schwanken. Nichts, niemand – nicht einmal ihre Mutter – erschien ihr noch vertraut. »Du solltest dich hinlegen, Mom. So viele Stiche können dich krank machen.«
Annabel schüttelte den Kopf. »Mir geht es gut. Die Tinktur, die Gary mir gegeben hat, ist großartig. Sie hat mir den Juckreiz genommen, und du weißt, dass die Stiche nicht giftig sind. Gary und sein Freund müssen sich sehr gut mit den Eigenschaften von Pflanzen auskennen, denn die Tinktur hilft wirklich.«
Ben blickte zu den beiden Männern hinüber. Obwohl beide offensichtlich Amerikaner waren, waren sie von irgendwo in Europa angereist, um nach einer sagenhaften Pflanze mit außergewöhnlichen Heilkräften zu suchen, die angeblich hoch in den Anden wuchs. Nach seinem Gesichtsausdruck zu urteilen, schien Ben beide Männer für ein wenig verrückt zu halten.
Annabel nahm Rileys Hand, und nachdem sie Ben noch einmal zugenickt hatten, traten sie an die Reling im Mittelteil des Bootes, wo sie im Moment allein waren.
Der Fluss verschmälerte sich allmählich, sodass an einigen Stellen die riesigen Wurzelsysteme der Bäume am Ufer das Boot schon streiften. Reihen um Reihen großer Fledermäuse hingen schaukelnd in den Bäumen und boten ein unheimliches Bild, wie sie so mit dem Kopf nach unten in dem dichten Blattwerk baumelten. Obwohl der Anblick nichts Neues war für Riley, fand sie ihn heute aus irgendeinem Grund beunruhigend. Es war fast so, als lägen die Fledermäuse auf der Lauer und warteten auf die Dunkelheit, um sich auf die Jagd zu machen – dieses Mal nach menschlicher Beute. Riley erschauderte ein wenig über ihre eigene überrege Fantasie.
Sie ließ sich von der Nervosität anstecken, die durch die Beengtheit des Bootes hervorgerufen wurde. Dabei müsste sie es doch wirklich besser wissen. Die Fledermäuse waren groß und eindeutig Vampirfledermäuse, die sich von Warmblütern ernährten, doch sie bezweifelte, dass ihr Hunger personenbezogen war, und sie warteten ganz bestimmt nicht auf das Vorbeikommen einer Bootsladung argloser Menschen.
Als sie spürte, dass sie beobachtete wurde, drehte Riley sich um und sah, dass Don Weston sie mal wieder anstarrte. Er grinste und machte eine Bewegung, als schösse er mit einem imaginären Gewehr auf die regungslosen Tiere. Riley wandte sich ab. Westons Bedürfnis, stets im Mittelpunkt zu stehen, ging ihr auf die Nerven. Aber seine Reaktion auf die Fledermäuse kam ihrem eigenen Gefühl ein bisschen zu nahe – und sie wollte absolut nichts mit diesem Mann gemeinsam haben.
So wandte sie sich wieder ihrer Mutter zu, nahm deren Hand und drückte sie. Am Morgen hatten sie den Hauptstrom verlassen und über einen Nebenfluss die Reise zu den abgelegensten Teilen Perus angetreten. Inzwischen war der Dschungel so dicht ans Wasser vorgerückt, dass Bäume und Äste manchmal fast die Seiten der beiden Boote zerkratzten, die flussaufwärts tuckerten. Der Wald war in ständiger Bewegung, beinahe so, als folgten ihnen die Tiere. Affen starrten sie aus großen, runden Augen an, und farbenfrohe Aras zogen kreischend ihre Kreise über den Köpfen der Bootsinsassen.
Sie drangen immer tiefer in die Welt des Regenwaldes ein, dieses üppigen Dschungels voller Geheimnisse, der sich mehr und mehr verdichtete und von Minute zu Minute gefährlicher wurde. Der Fluss wurde sogar noch schmaler, und die Luft war still und schwer von intensiven Gerüchen. Riley erkannte die Anzeichen. Bald würde der Fluss nicht mehr befahrbar sein, und sie würden das Boot verlassen und den Weg zu Fuß fortsetzen müssen. Im Gegensatz zu anderen Bereichen des Dschungels, wo das Gehen leicht war, weil ohne genügend Licht nur sehr wenig auf dem Waldboden wachsen und gedeihen konnte, war das Unterholz in diesem Abschnitt hier sehr dicht. Riley war schon viel gereist, aber die Gerüche und die Stille dieses Ortes waren etwas, was sie nirgendwo sonst auf Erden fand. Anders als bei ihren früheren Besuchen fühlte sie sich dieses Mal jedoch ein bisschen eingeengt.
»He, Mack«, rief Don dem anderen Ingenieur zu. »Was zum Teufel ist denn jetzt schon wieder los? Ich könnte schwören, dass der Dschungel lebt!« Er stieß ein nervöses Lachen aus, als er auf die Äste zeigte, die sich in
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