Gefangene des Meeres
schlechte Gewohnheit hatte, dem Arzt Fragen wie »Wieviel Uhr ist es?« oder »Wie gedeiht Ihr Garten?« zu stellen.
Dann, eines Tages, gerieten sie in die Nähe eines vorbeiziehenden Konvois.
Die Anzahl und die Art der Explosionen ließen erkennen, daß es Tag war. Der Geleitzug wurde aus der Luft angegriffen. Das dumpfe, resonanzlose Einschlagen einer Bombe in ein Schiffsdeck klang anders als der plötzliche, krachende Schlag eines unter Wasser detonierenden Torpedos. An den Flanken des Geleitzuges schienen außerdem U-Boote zu lauern, und der Ozean wie das Wrack waren mit dem Dröhnen, Krachen und Bumsen der Fliegerbomben, Torpedos und Wasserbomben erfüllt. Im Hintergrund rumorten die Schiffsmaschinen und Schrauben des Geleitzuges wie ferne Eisenbahnzüge.
Als die Geräusche allmählich verklangen, nahm Dickson den Platz am Generator ein. Jenny Wellman benutzte einen kleinen Teil der erzeugten Energie, um Notsignale zu senden, und auch Miß Murray signalisierte – mit Hammerschlägen gegen die Außenwand des Tanks –, während Radford seinen Garten pflegte. Wallis, der noch von der Anstrengung des Pedaltretens schnaufte, war beim Arzt. Sie wußten alle, daß die elektrischen Notsignale ohne eine bis zur Oberfläche reichende Antenne wenig Sinn hatten, daß der Lärm jeder Schiffsmaschine ihre Hammerschläge hier unten übertönen würde und daß die Schiffsbesatzungen anderes zu tun hatten, als auf seltsame Unterwassergeräusche zu lauschen. Wallis hatte allen an Bord geraten, sie sollten nicht allzu enttäuscht sein, wenn die Signale unbeachtet blieben, aber als sie nun vor den Bohnenbeeten standen und er den leiser werdenden Schraubengeräuschen nachhorchte, überkam ihn selbst bittere Unzufriedenheit.
Radford richtete sich von der Inspektion seiner winzigen Schützlinge auf und sagte unvermittelt: »Mr. Dickson und Miß Wellman quälen mich schon seit Tagen, Sir, einzeln und zusammen, aber eigentlich möchten die beiden mit Ihnen reden. Sie werden selbst gesehen haben, was da vor sich geht, Sir. Ich glaube, Ihre Pflicht in dieser Angelegenheit ist klar.«
Die Geräusche des Geleitzuges und seiner Angreifer waren verklungen. Wallis drehte den Kopf und sah den Arzt an.
»Wie?«
»Trauen Sie die beiden«, sagte Radford ungeduldig. »Ich weiß, die Royal Navy instruiert ihre Offiziere nicht, wie man Leute traut, aber ich war verheiratet und kann mich noch an die wichtigsten Teile der Zeremonie erinnern. Es wird Zeit, daß da etwas geschieht, Sir. Es bringt einen in Verlegenheit, wenn man die beiden miteinander schmusen sieht. Außerdem ist es zum Herumsitzen und Händchenhalten zu kalt, und die beiden sind erwachsene Menschen. Angenommen, sie finden einen günstigen Platz, wo sie für sich sind und sich legal aneinander wärmen können, dann hätten wir unsere Ruhe und sie, was sie wollen, obwohl ich glaube, daß es zu kalt ist, um …«
»Ich glaube das nicht«, unterbrach Wallis. Plötzlich mußte er lächeln. »Ich hatte keine Ahnung, Doktor, daß Sie eine so romantische Seele sind und die Realität der Situation nicht sehen. Wenn zwei Leute heiraten, gibt es nicht selten eine Anzahl Nebenprodukte. Halten Sie dies hier für einen geeigneten Ort, um Kinder aufzuziehen? Und was wollen Sie ohne geeignete Instrumente und Hilfsmittel machen, wenn es in diesem – diesem Kühlschrank zu einer Niederkunft kommt? Und angenommen, jemand stirbt. Wissen Sie eine Möglichkeit, wie wir den Körper beseitigen können?
Als Arzt müssen Sie über diese Probleme nachgedacht haben. Ich hatte erwartet, daß Sie ganz eindeutig gegen jede Paarbildung hier unten Stellung nehmen würden. Oder glauben Sie, daß unsere Zeit zu kurz bemessen ist, um solche Probleme real werden zu lassen? Sind Sie vielleicht der Meinung, man sollte unserem Romeo und seiner Julia das Vergnügen gönnen, solange sie es haben können? Haben Sie Gründe, so zu denken, Doktor?«
Radford schwieg lange, und als er schließlich antwortete, war es nicht, um Wallis’ Frage zu beantworten.
»Wenn die Dicksons sich zusammenbündeln«, sagte er, »wird Miß Murray allein im Kalten sitzen, ohne jemanden, der sie warmhält. Was bedauerlich ist, denn sie leidet seelisch noch sehr unter dem Erlebnis der Torpedierung. Ich gehe sogar noch weiter und sage, daß ihre Alpträume und nervösen Anfälle während der Schlafperioden zum Teil daher rühren, daß Jenny Wellman nach einem neuen Schlafpartner Ausschau hält. Natürlich nur zum Teil. Aber es bleibt die
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