Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gefangene des Meeres

Gefangene des Meeres

Titel: Gefangene des Meeres Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James White
Vom Netzwerk:
Jenny und Margaret waren schneller gealtert als die Männer, aber das wurde von niemandem erwähnt, und an Bord der »Gulf Trader« gab es keinen Spiegel, der es ihnen hätte sagen können. Das Spiel war so zu einem Teil ihres Lebens geworden wie das Atmen, das Schlafen und Essen. Zusammen mit ihren Kindern inszenierten sie nun regelrechte Theateraufführungen oder stellten Ereignisse aus ihrer eigenen Vergangenheit dar. Auch führten sie tiefschürfende Diskussionen über die möglichen Hintergründe, Motive und wahrscheinlich künftigen Handlungen irgendeiner Nebenfigur aus einer erinnerten Geschichte. Der Doktor hatte die Hornblower-Trilogie um einen eigenen, vierten Teil bereichert, die den unglücklichen C. S. Forester, hätte er davon erfahren, wahrscheinlich bewegt haben würde, sich fortan dem Verfassen von Wildwestromanen zuzuwenden.
    Aber ihr gemeinsames Leben bestand nicht nur aus Gesang, Aufführungen und geistsprühenden Konversationen. Es gab auch Unzufriedenheit, Streitigkeiten und, wenn Richard direkt daran beteiligt war, Aufsässigkeit und meuterische Reden.
    Mit siebzehn hatte sich Richard zu einem wahren Genie entwickelt, wenn es darum ging, einen Streit vom Zaun zu brechen. Zu seinen beliebtesten Übungen gehörte es, einen der Älteren – die eigentlichen Überlebenden, nicht seine älteren Geschwister – um Genehmigung irgendeiner Aktivität zu fragen, die gerade noch im Rahmen des Erlaubten lag. Dabei pflegte er sie einzeln zu fragen, so daß es unausbleiblich war, daß der eine gestattete, was der andere verweigerte. Dann ging er bei der Ausführung seines Vorhabens weit über das ursprünglich Erbetene hinaus, zuversichtlich, daß er die Älteren so lange gegeneinander ausspielen könne, daß er selbst ungeschoren davonkäme. Oft mußte Wallis Streitigkeiten schlichten, die nahe daran waren, zu Handgreiflichkeiten auszuarten, und auch das gelang ihm nur durch den energischen Hinweis auf seine Kommandobefugnis, etwas, das er in solchen Zusammenhängen haßte, weil es gewöhnlich um lächerlich geringe Anlässe ging. Immer öfter ertappte er sich dabei, daß er Dickson und dem Arzt erklärte, was er, ginge es nach ihm, mit Richard anfangen würde, vom tagelangen Festbinden in einem Kaltwasserbad bis zum Erhängen am stillgelegten Wasserrohr in Nummer vier.
    Da er erkannte, daß Wallis keineswegs scherzte, wenn er solche Reden führte, begann sich der Doktor stärker als bisher für Richard zu interessieren. Die Tatsache, daß sie beide die einzigen Junggesellen an Bord waren, gab ihnen eine gewisse Gemeinsamkeit. Davon ausgehend, erläuterte Radford einen Plan, der, sollte er Erfolg haben, die Gemeinsamkeit verstärken und zugleich Richards Verantwortungsbewußtsein entwickeln würde. Als Wallis seine Zweifel hinsichtlich dieser Idee ausdrückte, meinte Radford, Richard sei eben in einem schwierigen Alter, und die Triebe und Anfechtungen des Jünglingsalters würden durch das, was nun mal eine höchst anormale Situation sei, erheblich verschlimmert. Es werde ihm wahrscheinlich helfen, gäbe man ihm ein Gefühl größerer Wichtigkeit oder sogar einer Überlegenheit über die anderen. Radfords Wissen sei zu langweilig und spezialisiert, um im Rahmen des Spiels zum allgemeinen Nutzen verwendet zu werden, aber wenn es ihm gelänge, Richard für den Posten seines Nachfolgers zu interessieren …
    Wallis hatte noch immer seine Zweifel, aber sie lösten sich fünf Monate später von selbst auf, als die alten Dicksons und Wallises innerhalb weniger Minuten zweimal zu Großeltern wurden. Es war für alle eine hektische Zeit, besonders aber für den Doktor und für Richard, die gleichzeitig zwei Mütter zu entbinden hatten, doch ging alles gut. Als in den Tanks wieder eine gewisse Ruhe eingekehrt war, führten die Alten, die sich irgendwie an den Rand des Geschehens gedrängt sahen, ein ernstes Gespräch über Richard.
    »Dein Sohn wird eines Tages ein guter Arzt sein«, sagte Margaret Wallis zu Jenny Dickson. »Von nun an brauchst du dir keine Sorgen mehr um ihn zu machen. Er wird zur Ruhe kommen, verlaß dich darauf.«
    »Natürlich hat er sich einfach an meine Anleitung gehalten«, sagte Radford selbstzufrieden. »Ich gebe zu, daß das zweite Kind fünf Minuten eher ankam, als ich es zu sehen kriegte, aber die Tatsache bleibt bestehen, daß …«
    »… er Ihren Anweisungen folgte, Doktor«, nahm ihm Dickson das Wort aus dem Mund. »Obwohl er gute zwanzig Meter von Ihnen entfernt war.« Vaterstolz

Weitere Kostenlose Bücher