Gefangener der Sinne - Singh, N: Gefangener der Sinne
ein paar Minuten, wenn überhaupt. Ming hatte Zugang zu Flugzeugen und Teleporter. Wenn er sie holen wollte, würde er das tun. Sie sah den Organizer kurz durch, schob die Hülle herunter und entnahm den einen Quadratzentimeter großen Chip, auf dem alle Daten gespeichert waren. Ohne zu zögern, steckte sie ihn in den Mund und schluckte ihn, passte dabei aber auf, dass ihre Bewegungen für die Überwachungskameras unverfänglich blieben.
Danach griff sie in ihre Hosentasche, nahm den Ersatzchip heraus und schob ihn in den Organizer; es waren genügend Daten darauf, um jeden Verdacht zu zerstreuen – jedenfalls in den ersten Tagen. Gerade noch rechtzeitig. Aus den Augenwinkeln nahm sie ein Flackern wahr. Als sie sich umdrehte, stand ein Mann vor ihr. Er war ganz in Schwarz gekleidet, nur ein goldenes Emblem prangte auf seiner linken Schulter – zwei kämpfende Schlangen. Mings persönliches Symbol.
„Ma’am, mein Name ist Vasic. Ich bin Ihre Eskorte zum Zentrum.“
Sie nickte und stand auf. Seine Augen blickten unbeteiligt, als sie den Organizer in die Tasche ihres Laborkittels steckte, aber sie wusste genau, dass er sich alles merkte. Ming würde viel Zeit haben, das Gerät zu untersuchen, während man sie von Kopf bis Fuß durchleuchtete. „Mit telekinetischem Transport hatte ich nicht gerechnet.“
Sie hatte keine Frage gestellt, und der Mediale antwortete auch nicht.
„Muss ich Sie berühren?“, fragte sie und stellte sich neben ihn. Normalerweise berührten Mediale einander nicht, aber manche Kräfte wurden durch Kontakt verstärkt.
„Nein“, sagte er und bestätigte damit ihre Vermutung, dass Ming einen seiner besten Männer geschickt hatte. Seine Augen waren eher grau als kardinal-nachtschwarz, aber das fiel kaum auf – abgesehen von Ausnahmen wie Ming, bewegten sich Kardinalmediale häufig zu sehr in geistigen Sphären, um wirklich gut in praktischen Dingen zu sein. Im Töten zum Beispiel.
Der Mann sah ihr in die Augen. „Würden Sie bitte Ihre geistigen Schilde senken.“
Das tat Ashaya, und Sekunden später hatte sie das Gefühl, als würden ihre Knochen von innen her schmelzen. Der wissenschaftliche Teil ihres Selbst fragte sich, ob TK-Mediale wohl dieselbe Auflösung spürten, ob sie empfanden, dass sich ihr Körper in ein Nichts auflöste. Dann war es vorbei, und sie stand vor einer Tür, die sich nicht mehr im Labor befand. „Vielen Dank“, sagte sie und zog die Schilde wieder hoch.
Der TK-Mediale wies mit einem Kopfnicken zur Tür. „Dort hinein, bitte.“
Er würde sicher bleiben, um darauf zu achten, dass sie keinen Fluchtversuch unternahm. Warum hatte er sie dann überhaupt draußen und nicht gleich drinnen abgesetzt? Ganz egal, was passierte, es war sowieso ihr letzter Tag als leitende M-Mediale in diesem Implantationsteam, also konnte sie ihn auch fragen.
„Sie sind nicht teamfähig.“ Diese Antwort hatte sie nicht erwartet.
Sie hatte verstanden, tat aber so, als wisse sie nicht, was er meinte. Prüfte Ming ihre Ergebenheit, brachte sie in Versuchung mit Worten, die Rebellen zur Verständigung benutzten? „Tut mir leid, aber ich kann Ihnen nicht folgen. Vielleicht könnten Sie es mir später genauer erklären.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, stieß sie die Tür auf, denn sie spürte schon ein Kribbeln in ihren Fingerspitzen und Zehen.
Der Chip in ihrem Magen trug Datenmaterial von nahezu einem Terabyte, die Ergebnisse jahrelanger Forschungen. Und noch etwas anderes – einen giftigen Überzug. Sie hatte Stunden, die sie eigentlich an dem Implantat hätte arbeiten sollen, damit verbracht, die einzigartige Giftmischung für diese Gelegenheit zu vervollkommnen.
Der Grund dafür war einfach: Ashaya plante ihre Flucht.
Und der hohen Sicherheitsstufe wegen war der einzig mögliche Weg ihr Tod.
Deshalb würde sie sterben.
2
Amara spürte ein inneres Kribbeln. Unangenehm berührt, suchte sie in ihrem Geist nach der Ursache der Störung. Da der Großteil ihres Gehirns gerade mit einer komplizierten Aufgabe beschäftigt war, brauchte sie etwas Zeit, um herauszufinden, woran es lag.
Der Trägerstoff war tot.
Das ließ sie einen Moment innehalten. Wie unangenehm. Sie musste sich unbedingt einen Teil von Keenans Gehirn beschaffen. Natürlich verfügte sie über die Ergebnisse der Untersuchungen, aber man konnte ja nicht wissen, wie sich das Protein in den Jahren seit der letzten Entnahme verändert hatte. Wirklich jammerschade, dass dieses Experiment so plötzlich
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