Gefesselte Lust
länger ertragen, und ich will in Jonah einfach nur jede Erinnerung an mich auslöschen.
Leise schleiche ich mich in sein Büro, obwohl niemand sonst auf der Etage ist, und schließe die Tür hinter mir. Mein Blick fällt auf den Schreibtisch und die Bilderrahmen. Ich will die wenigen Fotos löschen, die Jonah möglicherweise von mir auf der Festplatte hat. Ich will nicht Teil seiner Sammlung sein; ich will, dass ihm nichts von mir bleibt.
Hastig bewege ich die Maus und habe Glück – Jonah hat kein Lock-Screen-Passwort eingerichtet. Der iMac erwacht aus seinem Ruhezustand, und ich sehe die vertraute Desktopoberfläche vor mir. Mit der Suchfunktion gebe ich meinen Vornamen ein, doch ich werde nicht fündig. Leise fluchend leere ich das Suchfeld wieder. Ich habe keine Ahnung, unter welchem Namen Jonah meine Bilder abgespeichert haben könnte!
Ich überlege und gebe dann ›Feldkamp‹ ein. Diesmal dauert die Suchanfrage länger; es gibt also irgendwo auf diesem Computer Dateien, die mit mir zusammenhängen. Ich hoffe nur, dass ich nicht auf irgendwelche alten Arbeitsmails stoße. Tatsächlich habe ich aber Glück. Während ich noch nervös auf die geschlossene Tür starre, stoppt die Suche und spuckt mir den Link zu einem Ordner aus. Er liegt nicht im Arbeitsverzeichnis, sondern zeigt einen kompliziert wirkenden Dateipfad an.
›Hab ich dich!‹, frohlocke ich stumm und klicke den betreffenden Ordner an. Doch ich finde keinerlei Fotodateien. Und es geht auch nicht um Helena Feldkamp. Die Zeichenkette, welche die Suchmaske gefunden hat, verweist auf einen »Jürgen Feldkamp«, meinen Vater. Sein Name taucht in einer langen Liste auf. Ich überfliege sie; es müssen Hunderte von Namen sein, die hier stehen. Hinter jedem Eintrag ist auch der Name eines Betriebs aufgeführt sowie eine Jahreszahl. Der erwähnte Betrieb in der Spalte »Jürgen Feldkamp« ist das Unternehmen meines Vaters. Die Jahreszahl passt zu dem Jahr, in dem er bankrott ging.
Mir wird eiskalt. Was geht hier vor?
Es befinden sich noch weitere Dateien im Ordner, aber sie sind passwortgeschützt, und ich kann sie nicht öffnen. Jetzt erst wird mir klar, dass der Ordner im offiziellen Arbeitsverzeichnis des Verlags nicht auftaucht. Hätte ich nicht zufällig nach meinem Namen gesucht, hätte ich ihn gar nicht gefunden.
Ich kann es kaum fassen; die einzige Erklärung, die mir einfällt, ist, dass Jonah etwas mit dem Ruin meines Vaters zu tun hat. Ich rechne nach: Er müsste zum Zeitpunkt des Betrugs sehr jung gewesen sein, aber mit knapp zwanzig Jahren wäre er definitiv alt genug dafür gewesen. Hat er gewusst, dass ich Jürgen Feldkamps Tochter bin und mich aus diesem Grund verführt? Hat er mich deshalb überhaupt erst eingestellt? Aber warum? Nur um mich mit diesem perfiden Psycho-Spielchen zu quälen? Es gibt nur einen Mann, der mir all diese Fragen beantworten kann. Und das wird er.
Ich schicke eine Kopie des Ordners an meine private E-Mail-Adresse. Noch während ich darauf warte, dass die Mail gesendet wird, öffnet sich die Tür. Jonah ist zurückgekehrt, aber das ist mir nur recht.
Bei meinem Anblick erstarrt er. Bevor er etwas sagen kann, stehe ich auf und drehe den Monitor des Computers zu ihm um. »Du elender Mistkerl!« All meine Wut, meine Enttäuschung und auch mein Herzschmerz bricht sich jetzt Bahn. »Was hat das zu bedeuten?! Erklär mir das.«
Verwirrt blickt er erst mich an, dann auf den Bildschirm. Zuletzt geht sein Blick zu dem geöffneten Ordner, und er atmete tief ein. »Das ist genau der Grund für alles.«
»Das dachte ich mir. Aber ich will endlich eine Erklärung von dir. Was spielst du für ein Spiel?!«
Jonah schließt die Tür und fährt sich mit allen zehn Fingern durch die Haare. »Du solltest das nie sehen – entschuldige.«
Er gibt es also zu. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. »Warum?«, ist alles, was ich noch hervorbringe.
Jonah ringt offensichtlich ebenfalls mit den Worten. Unruhig geht er in seinem Büro auf und ab. »Ich wollte dich davor schützen. Die Verbindung zwischen dir und diesem Fall ist mir niemals aufgefallen, und als es so weit war, war es bereits zu spät.«
»Wie tröstend.«
Er fährt sich mit der Hand über das Gesicht. »Versteh doch – ich konnte den Artikel nicht veröffentlichen. Es würde die gesamte Redaktion ins Unglück stürzen.«
Jetzt bin ich verwirrt. Es geht doch um den Betrug an meinem Vater und offensichtlich an Hunderten weiteren kleinen Betrieben! »Was für ein
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