Gefesselte Lust
Kopf zurück und starrt mich an, als wäre ich der Leibhaftige selbst. Dann schiebt er mich von sich.
Ich bin desorientiert und brauche einen Augenblick, um zu verstehen, was genau gerade passiert ist.
»Was hast du gesagt?«, murmelt Jonah.
»Ich …«
»Nein. Geh!«
Es klingt nicht wütend, nur hochgradig erschrocken, als wäre er in Panik. »Jonah, ich habe nur …«
»Nein!« Er wendet sich ab, und ich sehe, dass er zittert. Sein ›Nein‹ hallt mir noch in den Ohren nach. Ich wende mich ab und verlasse das Büro.
Auch in der nachfolgenden Nacht habe ich keinen Schlaf gefunden und sitze daher morgens um acht noch in meiner Wohnung. Ich weiß nicht, ob ich es wirklich zur Arbeit schaffe oder nicht … Die Ereignisse in Jonahs Büro ließen mir keine Ruhe, und wann immer ich die Augen schloss, sah ich sein abweisendes Gesicht und das laute ›Nein‹. Dieses Nein steht noch immer wie eine Mauer vor mir. Ich weiß nicht mehr, was ich mir dabei gedacht habe, mich auf Marcus’ Rat einzulassen? Gestern Abend habe ich noch versucht, ihn zu erreichen, doch Marcus hatte sein Handy ausgeschaltet.
Als am nächsten Morgen mein Smartphone klingelt und mir anzeigt, dass ich eine neue Mail erhalten habe, denke ich im ersten Moment, dass es Marcus ist, der sich auf meinen vergeblichen Anruf hin meldet. Doch ein Blick auf den Absender jagt mir eisige Schauer über den Rücken. Die Nachricht kommt von B-Touch. Auf die Schnelle kann ich zwar den ganzen Inhalt nicht erfassen, aber nach einem zweiten Blick ist mir endgültig klar, was diese Mail bedeutet. Mir wurde fristlos gekündigt. Ich habe meinen Job verloren wegen ›unprofessionellen Verhaltens, das dem Ansehen der Firma Schaden zufügen könnte‹.
Ich lese die Mail ein drittes Mal. Das muss ein schlechter Scherz sein! Das kann nur ein Scherz sein, anders kann ich es mir nicht erklären. Ich rufe bei der Personalabteilung an, doch hier erhalte ich die Bestätigung, dass eine Kündigung per Mail zulässig ist. Die Frau am Telefon klärt mich über einige Formalia auf, die ich nur mit halbem Ohr wahrnehme. »Die schriftliche Bestätigung kommt dann demnächst mit der Post«, sagt sie emotionslos. Ich antworte nicht einmal mehr, sondern lege einfach auf.
Es ist nicht schwer zu erraten, wer hinter dieser Sache steckt. Dieser Mistkerl. Dieser …
Ich spüre ein gefährliches Gemisch aus Wut, Enttäuschung und enttäuschter Liebe in mir gären. Das ist zu viel. Das war eindeutig ein Schritt zu weit.
Ich fahre in einem mörderischen Tempo zur Redaktion. Noch habe ich meinen Schlüssel, und auch die Frau am Empfang scheint noch kein Foto mit meinem Gesicht und der Aufschrift »Persona non grata« erhalten zu haben. Sie grüßt, aber ich ignoriere sie und stapfe direkt zum Aufzug in Richtung von Jonahs Büro.
Auf dem Weg nach oben überlege ich, was ich eigentlich hier will, aber meine Wut erstickt jede Vernunft im Keim. Ich will ihm einfach gegenüberstehen und ihm meinen ganzen Schmerz entgegenschreien. Zu mehr bin ich nicht mehr fähig.
Der Aufzug hält mit leisem Klingeln, und ich laufe zur Bürotür. Von der Sekretärin ist wieder mal weit und breit nichts zu sehen. Gerade als ich nach der Klinke greifen will, wird diese heruntergedrückt. Der Schreck fährt mir durch alle Glieder. In dem Moment wird die Tür aufgeschoben – hastig husche ich in die Nische, die zwischen geöffneter Tür und Flurecke entstanden ist.
»Ich weiß wirklich nicht, was dich das anzugehen hat.« Das ist Jonahs Stimme. Ich halte den Atem an. Mit wem spricht er?
»Eine ganze Menge, immerhin ist es meine Zeitung, die du gegen die Wand fährst, wenn du einfach fähige Mitarbeiter feuerst.«
Ich presse die Lippen aufeinander. Das ist eindeutig die Stimme von Marcus. Offenbar hat er bereits erfahren, dass Jonah mich gefeuert hat und versucht gerade, ihn deswegen zur Rechenschaft zu ziehen. Damit hätte ich niemals gerechnet und ich bin mehr als nur gerührt.
»Die Kündigung hatte ihre Gründe, verdammt noch mal«, knurrt Jonah. Seine Stimme ist tief, und er wirkt verletzt.
»Gründe wie bei Ina?«
Ihre Stimmen entfernen sich. Jonahs Antwort kann ich nicht mehr deutlich hören, doch sie klingt zornig. Ich verharre in meinem Versteck, bis ich das Klingeln des Fahrstuhls höre und komme erst dann heraus. Eigentlich hatte ich Jonah ins Gesicht sehen wollen, aber mittlerweile will ich nur noch alle Verbindungen zu diesem Mann lösen. Ich kann den Widerstreit meiner Gefühle nicht mehr
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