Gefeuert
Platz und sitzen einander gegenüber. Die ganze Zeit schon habe ich überlegt, an wen mich meine Jobberaterin erinnert. Jetzt, nach dem Stühlerücken, habe ich’s plötzlich – an eine Engländerin. Sie könnte gut in einer Roald-Dahl-Geschichte mitspielen – so könnte die vermeintlich liebenswürdige Frau aussehen, die sich einen besonders perfiden Plan ausgedacht hat, um ihren Mann loszuwerden. Sie »vergisst« ihn bei der Abreise in den sechswöchigen Urlaub im kaputten Aufzug ihres großen leeren Hauses.
»Es sieht gar nicht gut aus«, sagt sie und sieht mich über ihre Brille hinweg lächelnd an. »In Ihrer Branche gibt es gerade nichts. Und dann mit Kindern … Die Unternehmen wollen niemanden mit Kind. Die wollen, dass ihre Mitarbeiter rund um die Uhr verfügbar sind. Aber das wird Ihnen so natürlich niemand sagen.«
Ich war zwei Drittel meines bisherigen Berufslebens Mutter und bin niemals deswegen diskriminiert worden. Aber ich sage nichts dazu. Ich weiß aus meinem Freundeskreis, dass es Arbeitgeber gibt, die Mütter lieber aus dem Unternehmen drängen als in Teilzeit zu beschäftigen. Trotzdem finde ich es erstaunlich, wie sicher sich meine Jobberaterin ist, dass ich keine Chancen auf dem Arbeitsmarkt habe. Statt auf eine fruchtlose Diskussion über die Diskriminierung von Frauen in der Arbeitswelt einzusteigen, erwähne ich lieber meine guten Kontakte, dass ich schon mit früheren Vorgesetzten gesprochen habe, die großes Interesse an meiner Mitarbeit haben, und ich mich notfalls selbstständig machen könnte. Sie nickt und lächelt und lächelt und nickt. Ich interpretiere das als Einverständnis.
Plötzlich fragt sie: »Haben Sie Ihren Ausweis dabei?«
Nein, leider nicht, und sofort fällt mir ein, dass in meiner Vorladung stand, dass ich ihn mitbringen muss. Aber sie ist kulant und mit meiner Bahncard zufrieden. Dann gibt sie mir meine Bewerbungsmappe zurück. Offenbar musste ich sie nur zusammenstellen und schicken, um zu beweisen, dass ich dazu fähig bin. Danach erklärt sie mir ein paar Formalitäten. Mein Bewerberprofil sei bereits jetzt im Internet zugänglich. Drei Monate vor Jobende muss ich mich persönlich arbeitslos melden. Dafür soll ich ohne Termin mit Kündigung und Personalausweis vorbeikommen und das direkt am »Empfang« erledigen.
»Am besten nicht am Anfang des Monats, da kommen alle. Wenn Sie können, kommen Sie gleich morgens um acht, da ist wenig los«, sagt sie. Dann gibt sie mir schon einmal die Unterlagen mit, falls ich mich selbstständig machen möchte. »Sie müssen, um einen Gründungszuschuss beantragen zu können, mindestens einen Tag arbeitslos sein«, schärft sie mir ein. Nachdem sie mir alles übergeben hat, frage ich sie, ob sie die Wirtschaftskrise spürt.
»Langweilig ist uns hier nicht«, sagt sie. Ich habe den Eindruck, dass sie sich über mein Interesse an ihrer Arbeit freut. Anfang des Monats und des Quartals seien in den Gängen alle Stühle besetzt und es gebe Wartezeiten von bis zu zwei Stunden.Nur Mitte des Monats, so wie heute, sei es ruhig. Und morgens um acht auch immer. »Die schlafen gerne lange.«
Ich sehe sie wohl etwas ungläubig an.
»Das ist so«, sie zuckt mit den Achseln und lächelt. »Aber mittags geht es dann zu …«
Ich fühle mich kurz ertappt. Seit ich in Elternzeit bin, stehe ich zwar nach wie vor früh auf, weil der Kleine Hunger hat und Ella in die Schule muss. Aber ich gehe nicht mehr um halb acht aus dem Haus wie früher. Allerdings, wenn etwas zu erledigen ist, stehe ich immer früh parat. Für Frau Mayer scheint das ein wichtiges Kriterium zu sein. Sie trennt offenbar ihre »Kunden« in gute und schlechte Arbeitslose. Gute Arbeitslose stehen voller Pflichtbewusstsein Morgen für Morgen pünktlich auf, auch wenn weder Kollegen noch Chef noch Arbeit auf sie warten. Ich bin entschlossen, für sie ein guter Arbeitsloser zu sein und setze darauf, dass sie die »guten« nicht in eine sinnlose Eingliederungsmaßnahme steckt.
Beim Verabschieden wünscht sie mir alles Gute und viel Erfolg in den nächsten Monaten. »Und nutzen Sie Ihre Kontakte«, ermuntert sie mich und sieht mir dabei tief in die Augen.
Ich bedanke mich für das »angenehme« Gespräch und verabscheue mich etwas für die Schleimerei. Dann trete ich in den braunen Gang und bin sehr froh, die Tür hinter mir zuziehen zu dürfen.
Als ich aus dem Gebäude bin, rufe ich gleich Luc an. »Ich war gerade beim Arbeitsamt …«
»Und wie war’s?«, fragt
Weitere Kostenlose Bücher