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Gefeuert

Titel: Gefeuert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Berger
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Selbstgespräch mit der Arbeitsagentur führe ich schon seit Tagen. Ich habe Angst, dass mich die Jobberaterin in eine Weiterbildung stecken möchte, die mir nichts nützt. Die Macht dazu hat sie. Als Arbeitsloser darf man den Vorschlag für eine »Eingliederungsmaßnahme«, wie das im Behördendeutsch heißt, nicht einfach ablehnen – selbst wenn man der Ansicht ist, dass die gewählte Fortbildung nicht passend ist. Tut man es doch, wird man mit einer »Sperrzeit« bestraft, das heißt, dass das Arbeitslosengeld vorübergehend gestrichen wird. Das Thema Weiterbildung ist so kompliziert, dass die Arbeitsagentur eine eigene Broschüre dazu herausgibt. Auch wenn man sich selbst eine Weiterbildung wünscht, kommt man an seinem Jobberater nicht vorbei. Er ist derjenige, der entscheidet, welche Maßnahme sinnvoll ist und welche nicht, nicht etwa der Arbeitslose selbst. Vor dieser Bevormundung graut mir. Und nicht nur mir.

    Gestern Abend traf ich Luc in der Stadt auf ein Bier. Mit dem Thema Arbeitsagentur haben wir einen großen Teil unserer Unterhaltung bestritten. Er hat heute Morgen dort ebenfalls einen Termin, allerdings bei einer anderen Mitarbeiterin. Ein paar Tage zuvor hatte ihn die Service-Hotline der Arbeitsagentur angerufen und daran erinnert. Das fanden wir beide seltsam. Bei mir hat sich bislang noch niemand gemeldet. Gelten männliche Arbeitlose vielleicht als unzuverlässiger?, frage ich mich.
    »An deiner Stelle würde ich mir keine Sorgen machen«, beruhigte er mich. »Du bist doch noch in Elternzeit.«
    »Trotzdem ist mir dieser Termin unangenehm. Die Vorstellung, dass ich jetzt Behördenpflichten erfüllen muss und von einer Sachbearbeiterin abhängig bin, ist mir ein Graus. Stört dich das gar nicht?«
    »Doch, natürlich. Allein in dieses Amt reinzugehen, macht schon depressiv«, meinte Luc und dann sagte er einen der Sätze, die auch er sich schön vorformuliert hat: »Ich werde ihr natürlich sagen, dass ich dem Arbeitsmarkt weiterhin zur Verfügung stehe.« Da hat er sich gleich das Behördendeutsch angeeignet – »dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen«. »Und wenn sie mir mit irgendwelchen Seminaren kommt, die ich besuchen muss, dann mache ich mich eben sofort selbstständig«, fügte er noch etwas trotzig an. Er zweifelt sehr an der Fachkompetenz seiner Beraterin, die er nun zum zweiten Mal aufsuchen sollte. »Die hat doch keine Ahnung von meinem Beruf und kann mit mir gar nichts anfangen«, ist sein Eindruck.
    Es war schon dunkel geworden. Wir saßen auf einem schönen, matt beleuchteten Platz unter einem Baum. Eine fast südländische Atmosphäre. Also überhaupt nicht der Ort und der Abend, um sich die Laune von der Arbeitsagentur versauen zu lassen. Doch das mit den Seminaren ist so eine Sache. Eine Kollegin von Luc wurde dazu verdonnert. Anders kann man es nicht sagen. Obwohl sie noch gar nicht arbeitslos ist, weil ihr Anstellungsverhältnis noch läuft, hat ihre Jobberaterin sie einfach für eine »Eingliederungsmaßnahme« angemeldet – gegen ihren Willen. Dort soll sie nun wochenlang an jeweils drei Tagen lernen, wie man sich bewirbt. Dabei sind gerade diese Bewerberseminare umstritten. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, der Thinktank der Bundesagentur für Arbeit (!), hat bei Hartz-I V-Empfängern untersucht, was Maßnahmen der Weiterbildung bringen. Bewerbungstrainings schnitten dabei katastrophal ab. Sie haben überhaupt keinen Effekt auf die Einstellungschancen.
    »Ich habe eine Idee, warum sie deine Kollegin in das Seminar gesteckt haben. Das macht sich gut in der Statistik«, sagte ich plötzlich. Erst vor ein paar Tagen hatte ich eine Studie desInstituts der Deutschen Wirtschaft in Köln gelesen. Demnach gibt es im Sommer 2009 neben den offiziellen 3,5 Millionen Arbeitslosen eine verdeckte Arbeitslosigkeit, die noch einmal 750 000 Menschen umfasst. Und darunter fallen unter anderem alle Arbeitslosen, die Weiterbildungsmaßnahmen durchlaufen.
    »Findest du das Wort ›Arbeitsloser‹ eigentlich auch so schlimm?«, fragte mich Luc.
    »Ja!«, stimmte ich ihm sofort zu. »Das hat etwas Stigmatisierendes, weil es dich über das definiert, was dir fehlt. ›Jobsucher‹ wäre besser, neutraler.« Dann starrten wir wieder schweigend auf den schönen Platz vor uns und hingen trüben Gedanken über unser Arbeitslosenschicksal nach.

    Und jetzt nähere ich mich unserem Schreckgespenst unweigerlich. Ich versuche mir vorzustellen, wie meine Beraterin wohl aussieht. Ich

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