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Gefeuert

Titel: Gefeuert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Berger
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sehe sie so um die Mitte dreißig mit kürzeren aschblonden Haaren, freundlich, aber mit einem leicht verbitterten Zug um den Mund. Und gekleidet ist sie zwar gewählt, aber dezent bis unscheinbar. Sehen so Jobberater aus? Ich habe keine Ahnung. Vielleicht ist sie auch eine ganz flotte Person mit Pferdeschwanz? Ganz egal, ob sie kurze oder lange, rote oder schwarze Haare hat: Ich will sie unbedingt dahin bekommen, dass sie mir wohlgesinnt ist. Ich brauche einen Freund im Arbeitsamt, keinen Feind, der mir die Kündigung noch schwerer macht.
    An der nächsten Kreuzung muss ich schon abbiegen. Und da ist es, ich erkenne das riesige hässliche graubraune Gebäude sofort von Weitem. Schicksalsergeben steuere ich den Fahrradparkplatz an. Ich sehe auf die Uhr – ich bin eine halbe Stunde zu früh dran. Ich beschließe, erst einmal hineinzugehen und mich zu orientieren. Vor dem Eingang steht eine sehr fein gekleidete Dame und wartet sichtlich auf jemanden oder etwas. Ich finde, sie passt nicht hierher. Ich hoffe, dass man das auch von mir sagen würde und vor allem: dass ich jetzt nicht zufällig jemanden treffe, den ich kenne. Das wäre mir sehr unangenehm.
    Über eine Drehtür betrete ich die Arbeitsagentur. Sie ist voninnen nicht weniger unschön als von außen. Die bestimmende Farbe ist braun und alles wirkt ältlich und ungepflegt. Auf der Toilette liegen kurze Schlangen grauen Klopapiers auf dem Boden verstreut. Über dem Waschbecken hängt ein Schild. Es ist in ungefähr zwei Metern Höhe angebracht und nur zu sehen, wenn man den Kopf in den Nacken legt. »Bitte behandeln Sie die Toiletten als wären sie Ihr Eigentum«, steht darauf. Mein Eigentum. Komische Wortwahl. Komische Idee, Eigentümer einer öffentlichen Toilette zu sein. Der schriftstellernde Koch Alain Bourdain hat einmal geschrieben, dass man an der Toilette erkennt, was ein Restaurant taugt. Sollte man diesen Tipp auf die Arbeitsagentur übertragen können, wird mich nichts Gutes erwarten. Ich fühle mich in meinen schlimmsten Befürchtungen bestätigt.
    Um die Zeit totzuschlagen, laufe ich ein wenig im Erdgeschoss umher. Alle paar Meter stoße ich auf ein Plakat, von dem mich lachend »Tino Rindfleisch« grüßt, »einer von 4000 Fachberatern und Fachberaterinnen der Bundesagentur für Arbeit«. Wenn ich eine Frage zum Arbeitslosengeld I oder zur Jobsuche habe, soll ich ihn anrufen. Tino Rindfleisch sieht sehr jung aus. Ich schätze ihn auf 17 Jahre. Er hat blonde Stoppelhaare und ein Piercing in der Nase. Das heißt, ich bin mir nicht sicher, ob er tatsächlich eines trägt. Aber er sieht so aus, es würde passen. Aber der Name? Ich bezweifle, dass der echt ist.
    Noch während ich über Tino Rindfleisch nachdenke, wende ich mich einer Vitrine zu. Hier hängen öffentliche Zustellungen. Es sind Briefe und ich kann den vollen Namen des Empfängers und den Inhalt lesen. Statt einer Adresse steht »Anschrift unbekannt«. Nun glaube ich zu verstehen. Deswegen wird der Brief hier wohl gezeigt. Das gilt als Zustellung und damit laufen mögliche Widerspruchsfristen für die Empfänger ab, die die Agentur nicht erreichen kann. Bei einem Brief ist die Frist schon vorbei. Armer Kerl. Wenn man in so eine Situation kommt, dass die eigenen Briefe öffentlich ausgehängt werden, geht es einem sicherlich nicht gerade gut.
    Hier im Amt ist wenig los. Ein paar Besucher gehen eiligenSchrittes an mir vorbei oder telefonieren wichtig mit dem Handy. Sie scheinen sich damit bewusst den Eindruck von Geschäftigkeit und Bedeutung geben zu wollen. Zwei Männer stehen am Informationsschalter. Ich beschließe, dass ich den Weg zu meiner Jobberaterin selbst finde, und mache mich auf in die oberen Etagen. Hier ist brauner Teppich verlegt, der offenbar Jahrzehnte alt ist. Überall sind Flecken, auch richtig große. Die Gänge sind sehr eng und von dunklen massiven Türen flankiert, an denen die Namen der Mitarbeiter stehen. Es ist alles sehr bedrückend und still. Ab und an kommt mir jemand entgegen, ob Mitarbeiter oder Leidensgenosse ist nicht erkennbar. Niemand grüßt. Auf einem etwas breiteren Gang ist eine Art Rezeption eingerichtet. Sie erinnert an ein billiges Hotel. »Empfang« steht darüber. Ich frage vorsichtshalber, ob ich mich hier anmelden muss, aber nein, ich soll direkt am Zimmer der Jobberaterin klopfen. Weil ich immer noch eine Viertelstunde zu früh dran bin, nehme ich auf einer Stuhlgruppe in der Nähe ihres Raumes Platz und starre aus dem Fenster, das auf den

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