Gefeuert
ich die Bestätigung bekam, wenn die Behörde ganze vier Tage braucht, um Hauspost zu verteilen. Immerhin habe ich die Durchwahl der neuen Sachbearbeiterin ergattert.
Doch die nützt mir erst einmal wenig, wie ich feststelle, als ich am Freitag anrufe. Ich lande nur bei ihrem Anrufbeantworter, der mir mitteilt, dass sie »Teilzeit arbeitet« und nur »von Montag bis Donnerstag« erreichbar ist. Wohl oder übel muss ich das Wochenende über mit dieser offenen Frage leben. Ich ärgere mich über mich. Warum bin ich da so überstürzt herangegangen? Warum habe ich den Start meiner Existenzgründung nicht wie Luc in aller Ruhe so gelegt, dass ich ohne Stress alles vorbereiten kann?
Am Montag rufe ich als Erstes beim Finanzamt an. Die Mitarbeiterin ist auffallend nett – so wie bislang alle Beschäftigten der Steuerbehörde, mit denen ich gesprochen habe. Sie kann mein Anliegen nachvollziehen und wird die Bestätigung ändern. Allerdings muss ich sie ihr erst per Post zuschicken. Das wird also alles wieder ein paar Tage, wenn nicht Wochen dauern …
Wenn ich die Wahl hätte, wäre es mir lieber, das Finanzamtwäre so schnell wie die Arbeitsagentur und dafür würde die Agentur ihr Tempo etwas drosseln. Ständig kommen Briefe vom Arbeitsamt. Auch heute wieder. »Was wollen die nur immer von mir?«, frage ich mich und reiße den Umschlag gleich auf.
»Sehr geehrte Frau Berger«, schreibt mir ein neuer Sachbearbeiter. »Sie haben mir mitgeteilt, dass Sie selbstständig tätig sind. Ich muss nun prüfen, ob Sie weiterhin Anspruch auf Arbeitslosengeld haben.« Ich soll ihm eine Aufstellung meiner Betriebseinnahmen des laufenden Monats schicken. Ich erstarre vor Schreck. Die Worte »ob Sie weiterhin Anspruch auf Arbeitslosengeld haben« prangen mir vor Augen. »Wieso selbstständig?«, frage ich mich. Ich habe doch den Gründungszuschuss noch gar nicht beantragt.
Sofort beschließe ich, die Anwältin anzurufen, aber sie ist nicht da. Stattdessen werde ich mit einem ihrer Kollegen verbunden. Ich versuche, ihm meine Situation und mein Problem in wenigen Sätzen zu schildern.
»Sie sind ja witzig. Wenn Sie etwas auf selbstständiger Basis verdienen, ist doch klar, dass die Arbeitsagentur Ihren Anspruch überprüfen muss.« Witzig finde ich mich definitiv nicht. Ich bin verzweifelt. Wie soll ich denn von den 600 Euro, die mir diesen Monat für einen Auftrag, den ich vor Monaten erledigt habe, überwiesen wurden, meine Familie ernähren? Seine Antwort halte ich für reichlich arrogant. Es ist die Arroganz der Ahnungslosen. Seine Stimme klingt jung, sicherlich war er noch nie arbeitslos und bestimmt hat er keine Familie, die er versorgen muss. Er klingt so, als würde er mich des »Sozialschmarotzertums« verdächtigen.
»Das ist klar«, verteidige ich mich. »Natürlich melde ich, was ich verdiene, das ist doch gar nicht die Frage. Ich habe Angst, dass mir das Arbeitslosengeld ganz gestrichen wird. Falle ich jetzt raus, weil ich als selbstständig gelte?«
»Was steht denn da?«, fragt er leicht besänftigt. Nachdem ich ihm den Brief vorgelesen habe, sagt er: »Es gibt nun einmal viele Arbeitslose, die es nicht so genau nehmen. Deswegen hatsich die Bundesagentur eine martialische Sprache angewöhnt. Das ist ein reines Routineschreiben.«
Ich bin leicht beruhigt, da fällt mir noch etwas ein. »Das Honorar, das ich diesen Monat erhalten habe, ist für einen Auftrag, den ich schon vor Monaten erledigt habe, vor der Arbeitslosigkeit. Muss ich das jetzt trotzdem melden?«
»Ja, das ist zwar ärgerlich, aber es gilt das Zuflussprinzip.«
»Ja«, sage ich. Denn das kenne ich. Das ist in der Elternzeit auch so. Jeder Verdienst, auch wenn er sich auf Arbeiten bezieht, die vor der Elternzeit liegen, wird vom Elterngeld abgezogen. Entscheidend ist, wann der Betrag auf dem Konto eingeht – also »zufließt«. Das habe ich damals in der Elternzeit kräftig zu spüren bekommen. Weil das für Selbstständige eine Katastrophe ist, gibt es schon mehrere Klagen dagegen.
»Die Einkünfte haben Sie jetzt und zu diesem Zeitpunkt müssen Sie sie auch angeben«, sagt er unbeteiligt. (Dass das so nicht ganz stimmt, werde ich erst viel später erfahren, siehe dazu Seite 230).
Ich bin entsetzt. Nach dem Telefonat schaffe ich es noch bis zu Johannes. Dann breche ich in den ersten Weinkrampf aus, seit mir gekündigt wurde.
Ich kann nicht mehr.
Seit Monaten bemühe ich mich, einen Job zu finden und arbeite parallel selbstständig, um für eine
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