Gefeuert
mögliche Existenzgründung gewappnet zu sein – und jetzt darf ich nicht einmal diese läppischen 600 Euro behalten. Es werden noch mehr solcher alten Honorare eingehen, weil meine Auftraggeber so spät zahlen. Da wäre es doch besser gewesen, ich hätte Däumchen gedreht! Auch dieser ständige Verdacht der Behörde, ich würde meine Pflichten nicht erfüllen oder etwas unterschlagen, macht mich ganz verrückt. Diese Briefe mit den ewigen Belehrungen nach § XY Sozialgesetzbuch: »Wenn Sie nicht mitwirken, muss ich Ihnen die Leistung entziehen (§ 66 SGBI).« Ich habe 15 Jahre lang in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt und dann wird mein Anspruch infrage gestellt, bevor mir überhaupt zum ersten Mal etwas überwiesen wird.
»Du bist der falsche Typ dafür. Du nimmst das alles viel zu ernst. Du bist viel zu ehrlich. Andere geben erst gar nichts an«, versucht Johannes mich zu trösten und nimmt mich in den Arm.
»Ich bemühe mich so sehr«, schluchze ich. »Und die machen mich nur fertig. Die hindern mich daran, wieder auf die Beine zu kommen.«
»Lass doch die 600 Euro, die sind doch nicht so wichtig«, sagt Johannes.
»Da kommen noch mehr Honorare. Alle Arbeit der letzten Monate war umsonst!«
Ich bin völlig verzweifelt. Ich habe Angst, dass mir das Arbeitslosengeld zusammengestrichen wird oder dass es mir ganz genommen wird, dass ich weder Job noch Gründungszuschuss bekomme. Ich habe Angst, dass ich das nicht schaffe, dass wir bald kein Geld mehr haben, dass ich untergehe.
Es dauert, bis ich mich wieder fange. Ich bekomme rasende Kopfschmerzen, mir wird übel, es bleibt mir nichts, als mich hinzulegen.
Die Sätze des jungen Anwalts hallen nach: »Sie sind ja witzig!«, »Es gibt viele Arbeitslose, die es nicht so genau nehmen!«. Da ist er wieder, dieser Verdacht, der auf nichts als schlechter Meinung basiert: Arbeitslose nutzen den Staat aus. Ich bezweifle das. Ich kenne keinen einzigen, der es »nicht so genau nimmt«. Doch, vor Jahren saß mir einmal eine Bewerberin gegenüber, die hatte die Chuzpe zu sagen: »Ich kann den Job frühestens in drei Monaten annehmen. Ich möchte jetzt erst einmal arbeitslos sein.« Aber das war die einzige Drückebergerin, die ich jemals erlebt habe.
Wenn du deine Stelle verlierst, bist du viel zu sehr mit der Jobsuche beschäftigt und damit, die Situation irgendwie gebacken zu bekommen, als dass du das Arbeitsamt vorsätzlich bescheißen würdest. Die Bundesagentur für Arbeit hat kürzlich Zahlen zum Leistungsmissbrauch von Hartz-I V-Empfängern veröffentlicht. Demnach versuchen nur 1,9 Prozent, die Behörde zu betrügen. Und deswegen verdächtigt man kollektiv alle restlichen 98 Prozent?
»Nein!«, will ich dem Anwalt zurufen. »Ich versuche nur, das alles hinzukriegen, eine gute Arbeitslose zu sein, mein eigenes Geld zu verdienen. Verstehen Sie das nicht?« Ich will dieses Stigma nicht, das er mir aufstülpt. Ich bin nicht so! Außerdem: Er sollte mal lieber abwarten. Wer weiß, ob er nicht irgendwann selbst arbeitslos wird. Arbeitswissenschaftler sagen schon seit Langem voraus, dass Phasen von Arbeitslosigkeit zu einer normalen Berufsbiografie dazugehören werden. Je seltener unbefristete Festanstellungen werden, desto mehr nehmen Erwerbsunterbrechungen zu. Es kann jeden treffen. Jederzeit.
Vielleicht hört dann endlich das Vorurteil auf, dass sich Arbeitslose auf Kosten der Gemeinschaft eine schöne Zeit machen. Das Gegenteil ist der Fall. Arbeitslosigkeit macht krank. Erst jüngst hat der Gesundheitsreport der Betriebskrankenkassen gezeigt, dass Arbeitslose häufiger krank sind und drei Mal so viel Psychopharmaka verschrieben bekommen wie Erwerbstätige.
Nach ein paar Stunden des Leidens erwacht mein Kampfgeist. Ich stehe auf und ziehe mich warm an, ich muss raus an die kalte Luft. »Julia, du schaffst das!«, sage ich mir und stiefele durch den Schnee. »Lass dich von denen nicht kleinkriegen! Sollen sie die ganzen Honorare behalten. Warum sollten sie dir den Gründungszuschuss nicht genehmigen? Rede keine Katastrophen herbei! Warum sollte das nicht klappen mit der Selbstständigkeit? Es gibt Wichtigeres im Leben als Rentenversicherungsbeiträge!« Ich beschließe, mir einen weiteren Monat zu geben. Wenn ich dann noch keinen Job habe, mache ich mich selbstständig. Langsam gewinne ich die Zuversicht wieder, die mir die vergangenen Monate immer wieder abhanden kam. Es ist, als wenn die Sorgen alles überrennen, wenn du sie einmal zulässt. »Damit ist
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