Gefeuert
den sie in der Taille mit viel Energie zugebunden hat, in der linken Hand trägt sie eine sehr große, gut gefüllte Tasche. Ob in dieser Straße die Produktionsfirma von Til Schweiger wäre?
Nein, mit Sicherheit nicht. Johannes zählt gleich alle Firmen auf, an denen er in unserem Viertel jemals vorbeigekommen ist und die irgendetwas mit Medien zu tun haben könnten. Das stachelt sie an. Ob wir Til Schweiger persönlich kennen würden? Sie reckt ihr hübsches Kinn entschlossen in die Höhe und beginnt, uns von einem »Exposé« zu erzählen, das sie offenbar an sämtliche Produktionsgrößen Deutschlands geschickt hat. Wenn ich sie richtig verstehe, hat sie sich heute aufgemacht, um ein »persönliches Gespräch« darüber an Land zu ziehen und Til Schweiger von ihrem Projekt zu überzeugen. Dass sie statt mit Schweiger ein persönliches Gespräch mit zwei wildfremden Joggern anfängt, die nicht vom Fach sind, scheint sie nicht zu stören.
Johannes schafft es irgendwann, ihren Redeschwall zu unterbrechen und wir verabschieden uns mit einem »Viel Erfolg!«.
»Die war ja wahnsinnig«, sagt er, als wir im Haus sind.
»Nein, die war nicht wahnsinnig. Die ist zielstrebig und ehrgeizig und die wird das schaffen«, erkläre ich ihm. Ich würde mich nicht wundern, wenn sie bei der nächsten Übertragung eines Filmpreises in der ersten Reihe neben Til Schweiger sitzt.
Ich bin echt beeindruckt. Sieht so der Bewerber der Zukunft aus? Er läuft als Hausierer seiner selbst von Unternehmen zu Unternehmen und wartet nicht lange darauf, bis er eingeladen wird. Ich versuche mir vorzustellen, wie ich unaufgefordertbeim Chef meines Exkollegen auftauche und ihm zwischen Tür und Angel ein Gespräch aufzwinge, in dem ich meine Vorteile gegenüber anderen Bewerbern herausarbeite. Hätte ich damit Erfolg?
»Was hat sie wohl in ihrer großen Tasche dabei?«, frage ich mich. Als würde es mir weiterhelfen, wenn ich es wüsste.
Die folgenden Tage empfinde ich die Funkstille zunehmend als belastend. Wenn ich wenigstens eine Absage erhielte, dann könnte ich mit der Stelle abschließen. Aber so? Zwar wird es von Tag zu Tag unwahrscheinlicher, dass noch eine Zusage kommt. Doch die Hoffnung scheint sich desto hartnäckiger zu halten. Ich will es mir einfach nicht eingestehen, dass weder sie noch irgendein anderer mich einstellen wollen. Meinen Kollegen haben sie doch auch genommen! Meine erfolglosen Bewerbungen hinterlassen üble Kratzer auf meinem Selbstbild. Das tut weh.
Immerhin scheint es mit der Existenzgründung voranzugehen. Ich juble, als der ersehnte Brief vom Finanzamt im Briefkasten liegt. Endlich! Wochenlang habe ich auf diese Bestätigung gewartet. Ich will gleich beginnen, alle Unterlagen zusammenzusuchen, um den Antrag für die Arbeitsagentur fertig zu machen, und reiße das Kuvert auf dem Weg zu meinem Schreibtisch auf. Dann bleibe ich ungläubig stehen. Das Schreiben ist völlig falsch datiert. Der Beginn meiner Selbstständigkeit liegt laut dieser Bescheinigung schon Wochen zurück. Wie kann das sein? Wie kommen sie auf das Datum? Da fällt es mir ein: Ich hatte bei meinem Anruf gebeten, den Starttermin einen Monat nach hinten zu verschieben – daran muss es liegen. Sie haben aus Versehen das Datum meines Anrufs eingesetzt. Was mache ich jetzt?
Ich wähle die Hotline der Arbeitsagentur. Irrationalerweise hoffe ich, dass sie mir dort sagen, das sei kein Problem. Doch die Mitarbeiterin rät mir sofort, das Datum ändern zu lassen. »Ansonsten wird der Gründungszuschuss rückwirkend ausgezahlt«, erklärt sie. Ich würde ihn also bereits für die vergangenenWochen erhalten, dafür aber nicht so lange wie ich dachte. Nein, das wäre nicht gut, beschließe ich.
Also rufe ich wieder beim Finanzamt an, auf dem Schreiben ist die Durchwahl des zuständigen Mitarbeiters angegeben. Leider erinnert er sich nicht an mich.
»Dazu kann ich nichts sagen«, wiederholt er mehrmals. »Ich habe die Unterlagen schon an eine andere Abteilung weitergeschickt. Sie stecken sozusagen zwischen zwei Abteilungen«, erklärt er und muss bei dieser Vorstellung lachen. Bei mir löst das Bild eher Schrecken aus – ich sehe mich in einem langen grauen Gang gefangen. Dann rechnet er aus, wann die Unterlagen voraussichtlich bei der Kollegin ankommen werden. »Heute ist Donnerstag. Am Dienstag habe ich es rausgeschickt. Vor Freitag ist das nicht da.«
»Wahnsinn«, denke ich mir, sage aber nichts. Kein Wunder, dass es so lange gedauert hat, bis
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