Geflüster auf Burg Schreckenstein
Handbreit klaffte die Tür zur Lehrergarage. Drinnen klapperte etwas. Schrill quietschten die Türscharniere, der Lichtkegel der Taschenlampe erfaßte eine Person, die gerade dabei war, ein Fahrrad an die Wand zu lehnen, ein Fahrrad, das schon einmal für Aufregung gesorgt hatte.
„Guten Abend, Beatrix!“ Dampfwalzes Stimme klang mild. „Nett, daß du mich doch noch besuchen kommst.“
Sie fuhr herum und stand starr wie ein Gartenzwerg. „Da… Dampfwalze…!“
„Wie liebevoll du meinen Namen stotterst!“ Wohl infolge der menschlichen Enttäuschung überkam ihn ein neuartiges Gefühl der Leichtigkeit und Gewandtheit. Endlich konnte auch er mit flinker Zunge reden, wie er sie immer bei Mücke bewundert hatte. „Falls du meinen natürlichen Freund suchst, der ist anderweitig beschäftigt. Aber du willst sicher zu mir, deine Schulden zurückzahlen.“
Inzwischen hatte sich Beatrix gefaßt. Auf seinen Ton eingehend, antwortete sie: „Doch nicht bei dem Wetter! Das machen wir am Tag. Ich hab’s eilig! Horn kontrolliert heut’ alle Zimmer. Wenn da ein Bett leer ist…“
„Du wirst dir schon was zusammenschwindeln!“ Breitbeinig stand der Muskelprotz im Weg. Er glaubte ihr kein Wort. „Laß mich raus!“ fauchte sie.
„Nicht so eilig. Ich hab’ noch eine Überraschung für dich.“
Beatrix stutzte. „Du? Für mich?“
Langsam zog er das Amulett aus der Tasche und ließ es im Lichtkegel blinken. Sie wollte danach greifen, doch die Hand schnappte zu.
„Woher…?“
„Von meinem natürlichen Freund!“ Dampfwalze strahlte. Mann! Wie ich auf einmal reden kann… Und er fuhr fort: „Florian hat’s mir gegeben. Als Pfand, falls du das Geld nicht zurückzahlst. Zahlst du, kriegst du’s wieder. Wir wollen es beide nicht.“
„Ihr… Schweine!“ Sie versuchte den schweren Ritter wegzuschieben. „Weg hier! Wo sind die andern?“
„Am besten, du gehst in die Folterkammer und fragst Paule.“
„Mit dir bin ich noch nicht fertig!“ zischte sie.
„Wie schön für mich!“ lästerte er, während sich seine Phantasie ausmalte, wie sie in der Folterkammer empfangen werden würde! Wo sonst konnte sie jetzt hingehen?
Dampfwalze ließ sie vorbei und folgte ihr nicht. In dem schönen Gefühl absoluter Überlegenheit leuchtete er das Rad an und ließ die Luft aus den Reifen. Auch die Pumpe nahm er mit, die sein natürlicher Freund angeblich verloren haben sollte – eine weitere Beatrix-Lüge.
Gemächlich zog er die Tür zu und ging über den Hof. Aus der Folterkammer drang lautes Lachen.
Sollen sie ihren Spaß haben an der Giftspritze! dachte er in Gönnerlaune. So gut wie heut’ war ich noch nie! Mit schnellen Schritten entkam er dem Regen in die Burg. Einmal möcht’ ich bei Ingrid so sprachgewandt sein! träumte er. Sie gefällt mir noch immer. Aber wenn sie Florian bevorzugt, geht das in Ordnung. Schließlich ist er mein natürlicher Freund!
Selten wurde in der Folterkammer so viel gelacht wie an diesem Abend. In den steinernen Richtersesseln lagerten Amanda, Anke und Sophie, vor ihnen auf dem steinernen Richtertisch hockten Andi, Stephan und Ottokar. Ingrid und Florian lehnten an dem Stock mit den Daumenschrauben. Sie alle schauten zur Streckbank, wo Witzbold Klaus mit Isabella gerade das Schlafsackgeflüster zwischen Dampfwalze und Beatrix parodierte.
Laut schnarchend lag der Witzbold auf dem Rücken. Isabella gab ihm einen Rempler. „He, Dampfwalze, du sägst ja die ganze Burg ab.“ Sie drehte ihn so schwungvoll auf die Seite, daß er auf den Boden fiel.
Erschrocken fuhr er hoch. „Wo bin ich? Wo bin ich?“
„Bei mir“, antwortete sie sanft. „Kennst du mich denn nicht mehr? Ich bin Beatrix.“
„Und wo ist die Horn?“ fragte sie.
Wild rollte er die Augen. „Sie war da! Grad eben. Fuchsteufelswild hat sie mich aus deinem Bett geschubst.“
Isabella schmollte. „Jetzt bin ich aber beleidigt. Ich dachte, du schnarchst so süß, weil du von mir träumst…“
Hier schlug das Gelächter über ihnen zusammen.
„Ich kann nicht mehr!“ Ankes dunkle Stimme überschlug sich.
„Wie schön, daß es regnet“, meinte Ingrid, „sonst hätten wir am Ufer fünferlei Seegeflüster…“
„Genau!“ fiel ihr Sophie ins Wort. „Zusammen ist es doch viel lustiger.“ Und sie trank ihren Becher mit Bouillon leer.
Ottokar folgte ihrem Beispiel. „Es lebe unser eigenes Gasthaus!“
„Ab sofort ist das auch unser Gasthaus!“ korrigierte ihn Ingrid. „Wie nennen wir’s denn?“
„Bei Paule! Bei Paule!“
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