Gefrorene Seelen
Woody verschloss ihm mit der Hand den Mund und fuchtelte mit dem Messer, doch es war schon zu spät: Die Stimmen von oben wurden plötzlich heftig, die Schritte hastig und laut.
Woody machte sich an das letzte Klebeband, scheiß auf das Gebrüll, doch der Junge wartete nicht länger. Auf beiden Füßenstehend, mit einem Handgelenk noch an den Stuhl gefesselt, drängte er sich an Woody vorbei. Er riss die Tür auf, und da stand der Typ mit dem Frettchengesicht und hielt eine Pistole in der Hand.
Der Junge drängte sich vorbei und hastete mit dem polternden Stuhl die Treppe hoch.
»Du kannst nicht raus«, sagte der Mann über die Schulter, während er Woody anstarrte. Der Junge war schon oben an der Treppe, immer noch nackt, und rammte die Schulter gegen die Tür, doch Woody wusste, dass Türen, anders als in Kinofilmen, so nicht zu öffnen sind.
»Mal sachte«, beschwor Woody das Frettchengesicht. »Gewalt ist gar nicht angesagt.«
Sein Gegenüber betrachtete ihn ohne Hast von oben bis unten. »Vielleicht mag ich aber Gewalt.«
»Mein Vorschlag: Ich lasse Ihnen den Videorekorder, und Sie lassen den Jungen laufen. Ich weiß nicht, was er getan hat, wahrscheinlich haben Sie allen Grund, ihn zur Sau zu machen, aber Sie können ihn nicht gefesselt im Keller einsperren. Das ist nicht korrekt.«
Der Junge versuchte immer noch, die Tür einzustoßen, und heulte wie ein Besessener.
»Halt die Fresse«, sagte der Mann die Treppe hinauf. Und zu Woody gewandt: »Der Kleine ist so hysterisch.«
»Ja, der ist wirklich aus dem Häuschen. Aber ich muss jetzt gehn, Mann.«
Das Frettchengesicht trat von der Türschwelle zurück und ging bis zur Treppe. »Keith«, sagte er in scharfem Ton. »Komm jetzt sofort wieder runter.«
»Nie im Leben, Mann. Ich will hier raus!«
Der Mann trat auf die unterste Treppenstufe, hielt die Pistole keinen halben Meter vom Bein des Jungen entfernt und drückte ab.
Der Junge schrie und fiel die Treppe hinunter. Sich vor Schmerzendas Bein haltend, wälzte er sich auf dem Betonboden. Der Mann trat ihm gegen das Kinn, als wollte er ein Tor schießen, worauf der Junge regungslos liegen blieb.
»Um Himmels willen.« Mehr brachte Woody nicht heraus. »Das war vollkommen unnötig.«
»Setz dich auf den Stuhl da.«
»Nein, kommt nicht in Frage. Natürlich sind Sie total sauer, aber bleiben Sie auf dem Teppich.« Nicht um alles in der Welt würde er sich fesseln lassen. Dieser Typ war doch krank.
»Setz dich auf den Stuhl, oder ich schieß dich über den Haufen.«
»Er hat Oma aufgeweckt.« Die Worte, die einem surrealistischen Theaterstück zu entstammen schienen, kamen von oben, wo jetzt die Frau am Treppengeländer stand. »Durch sein blödes Geschrei.« Sie ging ein paar Stufen nach unten und blieb über dem Jungen stehen. »Eigentlich sollte ich dir ins Gesicht pinkeln.«
»Der da ist bei dir eingebrochen, Edie. Er wollte deinen Videorekorder klauen.«
Die Frau sah zu Woody hinüber. »Zufällig bedeutet mir dieser Videorekorder eine ganze Menge. Ich hänge an ihm.«
»Ach so, verstehe. Aber glauben Sie mir, mir ging es nur ums Geld.«
»Los, Eric, machen wir ihn kalt.«
»Videos mag ich auch. Meine Frau und ich, wir leihen uns hin und wieder einen Streifen mit Clint Eastwood aus. Also ich stehe auf Clint, sie mag lieber das Zeug über Schwestern und Freundinnen und so. Wirklich, ein guter Film und eine Tüte Popcorn, das ist ganz nach unserem Geschmack.« Rede mit ihnen, nimm sie für dich ein, bei den Bullen wirkt das manchmal Wunder.
»Zeig’s ihm, Eric«, sagte die Frau mit bebender Stimme. »Schieß ihm in den Bauch.«
»Hört mal, Leute. Edie. Eric. Offenbar bin ich hier nicht willkommen. Na gut, dann verschwinde ich eben wieder. Ich mach dieFliege. Entschuldigung wegen der Umstände, wirklich, es tut mir leid.«
»Der blaue Lieferwagen draußen, ist das deiner?«
»Der ChevyVan, ja. Tatsächlich steht er da ziemlich ungünstig. Behindert den Schneepflug. Wenn ich ihn nicht bald wegfahre, Eric, wird er womöglich noch abgeschleppt.«
Der Mann reagierte auf Woodys Worte überhaupt nicht. Stattdessen richtete er den Pistolenlauf auf Woodys Bauch.
»Eric?« Die Frau kam, den Mund leicht geöffnet, noch ein paar Stufen weiter nach unten und betrachtete die beiden angespannt. Mit ihrer Gesichtshaut stimmte irgendetwas nicht. »Warum schlägst du ihm nicht die Fresse ein?«
Woody schätzte die Entfernung zur Pistole, die der Mann immer noch auf seinen Bauch gerichtet
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