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Gefrorene Seelen

Gefrorene Seelen

Titel: Gefrorene Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
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verbrachten sie eine Woche unten in Florida in einem Ort, wo sie eine Ferienwohnung auf Time-Sharing-Basis hatten.
    »Warum fragst du danach?«, wollte er wissen. »Für eine Ferienwohnung in dieser Saison ist es schon ziemlich spät. Da hätte man schon früher aktiv werden müssen.«
    »Es geht um Ermittlungsarbeit. Ich muss da etwas überprüfen.«
    Ein schwerer Seufzer kam durch die Leitung.
    »Warum bin ich eigentlich gar nicht überrascht?«
    »Ich hätte dich nicht gefragt, Dollard, wenn es nicht wichtig wäre.«
    »Es ist mein Urlaub, Lise. Ich bin mit meiner Familie dort unten.«
    »Es ist wirklich wichtig. Kannst du dich noch gut genug an mich erinnern, um mir das abzunehmen? Wir sind hier hinter einem Kindermörder her. Ich kann mir nicht mal einen Tag freinehmen.«
    Eine Weile ging es noch hin und her zwischen ihnen. Dann fragte Delorme, wo genau er denn seinen Urlaub verbringen werde. Zum Leidwesen des Sergeant stellte sich heraus, dass die Ferienwohnung in Hollywood Beach lag, im selben Block, zu dem auch die Calloway Marina gehörte. Damit war Dollards Schicksal besiegelt, und Lise konnte, mit sich selbst hochzufrieden, den Hörer auflegen.
    *
    Sie verbrachte noch eine Stunde mit Aktenstudium – von Cardinal bearbeitete frühere Fälle –, ohne auf Interessantes zu stoßen. Den Akten zufolge war John Cardinal genau der Mann, der er zu sein schien: ein hart arbeitender Kripobeamter, der seine Arbeit effizient und umsichtig erledigte und das Gesetz achtete. Die von ihm verhafteten Verdächtigen wurden vor Gericht fast alle verurteilt, allerdings nicht in dem Fall, den sie gerade studierte und bei dem es um einen Gewohnheitsverbrecher namens Raymond Colacott ging, der in der Zwischenzeit Selbstmord begangen hatte. Der Verdächtige hatte bei seiner Verhaftung vier Kilo Kokain bei sich, und Cardinal hatte allen Grund zu der Annahme, dass Colacott damit handelte. Als der Fall vor Gericht kam, war der Stoff verschwunden, offenbar hatte ihn jemand aus dem Polizeidepot entwendet. Die Klage wurde abgewiesen.
    Die Staatsanwaltschaft hatte daraufhin ihren eigenen Ermittler auf den Fall angesetzt (die Akte war dank Dysons Umsicht gleich beigegeben), der aber bei seinen Bemühungen ohne Erfolg blieb.Cardinal stand nicht stärker unter Verdacht als andere Polizisten, da viele Personen Zugang zum Polizeidepot hatten. Ein Bericht wurde angefertigt, Sicherheitsmaßnahmen wurden angeordnet.
    Ja, es hätte Cardinal sein können, aber für einen Kripomann in Algonquin Bay wäre es zu riskant gewesen, als Kokainhändler aufzutreten. Und Raymond Colacott hatte nicht das Format eines Kyle Corbett, der es sich leisten konnte, einen Polizisten zu schmieren. Wenn die damalige Ermittlung schon kein Ergebnis gebracht hatte, würde Delorme jetzt, neun Jahre später, sicherlich genauso wenig Erfolg haben, zumal die Hälfte der beteiligten Beamten nach Winnipeg, Moose Jaw und weiß Gott wohin versetzt worden war.
    Delorme kratzte ihren Teller sauber und stellte ihn in das Spülbecken. Sie hatte sich immer wieder vorgenommen, kochen zu lernen, und sogar mit dem Gedanken gespielt, einen Kochkurs zu machen, doch aus Mangel an Zeit und Begeisterung war es bei den guten Vorsätzen geblieben. Ihre Mutter, hätte sie noch gelebt, wäre sicherlich entsetzt gewesen.
    Sie ging ins Wohnzimmer und schob die Gardine beiseite. Schneewehen glitzerten im Schein der Straßenlaternen. Sie blieb eine Weile am Fenster stehen und starrte, die Kaffeetasse in der Hand, auf den gespenstischen Widerschein. Zehn Minuten später saß sie am Steuer ihres Autos und fuhr ohne bestimmtes Ziel die Algonquin Street hinauf Richtung Umgehungsstraße. Sie bog rechts zum Highway ab und achtete darauf, die Tachonadel immer unterhalb der erlaubten Höchstgeschwindigkeit zu halten. Sie hatte diese Angewohnheit, ziellos umherzufahren, und wäre in Verlegenheit geraten, wenn Kollegen von ihren nächtlichen Irrfahrten erfahren hätten. Sie wusste nicht so genau, ob es einfach Ruhelosigkeit war oder der Versuch, ihrem Hang zum Tagträumen einen ebenso realen wie mentalen Hintergrund zu geben.
    Die Umgehungsstraße beschrieb einen Bogen und umschloss das obere Ende der Stadt in einer anmutigen Kurve. Es machte Vergnügen, den leichten, aber anhaltenden zentrifugalen Drangzu spüren, wenn man die Stadt umfuhr. Delorme folgte der Umgehungsstraße bis zur Lakeshore-Kreuzung und fuhr dann wieder stadteinwärts entlang der Bucht. Manchmal, wenn sie besonders angespannt war, machte

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