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Gefrorene Seelen

Gefrorene Seelen

Titel: Gefrorene Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
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gebremst. Die Riegel waren im Nu geöffnet, aber das Sicherheitsschloss, tja, das zu knacken hätte ihn bis ins hohe Alter beschäftigen können. Deshalb benutzte Woody in solchen Fällen ein Schlossereisen, mit dem er das ganze Ding aus der Tür riss. Er machte die Tür auf und sah statt funkelnder Schätze einen nackten Jungen auf einem Stuhl sitzen.
    Verdammter Mist, jetzt bin ich dran, war Woodys erster Gedanke. Aber dann sah er im Schein eines ohne Bild laufenden Fernsehers, dass der Junge an den Stuhl gefesselt war. Den Mund mit Klebeband geknebelt, die Handgelenke mit dem gleichen Band an den Stuhl gefesselt, saß er nackt wie ein Wurm vor ihm. Der Gefesselte zerrte an dem Klebeband und stöhnte. Seine Augen irrlichterten.
    Ein solcher Anblick kann einen Einbrecher, selbst einen erfahrenenProfi, schon aus dem Konzept bringen. Ohne recht zu wissen, was er tat, marschierte Woody geradewegs auf das Fernsehgerät zu und zog die Anschlussstecker zum Videorekorder heraus. Offenbar lief hier irgendeine perverse Nummer, doch das hatte ihn nicht zu interessieren. Als er das Kabel um den Rekorder wickelte (ein Mitsubishi-Stereorekorder, höchstens ein Jahr alt), fielen ihm jedoch ein paar Dinge auf, die ihm spanisch vorkamen: Der Junge war nackt, und im Raum waren keine Kleider; auf dem Boden befand sich eine Urinlache, und, nach dem Geruch zu urteilen, musste in dem Eimer unter dem Stuhl Scheiße sein. Was hier lief, war keine Sexnummer und auch kein Scherz.
    Mit dem Videorekorder unterm Arm blieb Woody in der Tür stehen. »Ich verstehe«, sagte er zu dem Jungen. »Bei einem Drogendeal hat es Stress gegeben, stimmt’s?«
    Der Junge zerrte wie rasend an seinen Fesseln. Woody trat auf ihn zu und riss ihm das Klebeband vom Mund. Sogleich fing der Junge zu schreien an. Was er von sich gab, hatte keinen Zusammenhang, aber manche Ausdrücke wiederholten sich: »Psychopathen, Perverse, die wollen mich umbringen.«
    »Hör auf. Hör mit dem Schreien auf. Du kannst hier nicht so rumschreien, Mann.« Das Letzte hatte Woody selbst geschrien.
    »Hol mich hier raus, bitte!« Dem Jungen liefen Tränen übers Gesicht. Er redete von einem Videoband, einem Mord. Was er im Einzelnen sagte, klang verrückt, aber die Angst war echt. Woody hatte bei seinen Aufenthalten im Knast von Kingston ein paar üble Szenen miterlebt, aber niemals zuvor, nicht einmal bei den am meisten schikanierten Insassen, hatte er eine solche panische Angst gesehen.
    Woody dachte nicht lange nach: Du siehst einen Mann in Fesseln, du befreist ihn von den Fesseln. Er suchte in der engen Toilette nach den Kleidern des Jungen, fand aber keine. »Wo zum Teufel sind deine Klamotten? Draußen sind zwanzig Grad unter null, vom eisigen Wind gar nicht zu reden.« Er war gerade dabei,sein Schweizer Offiziersmesser zu öffnen, als das Geräusch eines vorfahrenden Autos zu hören war. Befrei mich, tobte der Junge, fast wie in einer Rockshow, befrei mich.
    »Halt doch das Maul, sie sind zurückgekommen.«
    »Mir egal. Schaff mich hier raus!«
    Woody legte das Klebeband wieder über den Mund des Jungen und achtete darauf, dass es auch hielt. Die Tür des Seiteneingangs war schon offen, er hörte schon das Pärchen miteinander reden. Er machte die Kellertür zu und zischte im giftigsten Ton: »Wenn du auch nur den kleinsten Mucks von dir gibst, stech ich dich ab, verstanden?«
    Der Junge nickte wild, zum Zeichen, dass er verstanden hatte.
    »Das kleinste Geräusch, und wir sind beide im Arsch. Hier gibt es nur eine Tür. Wir müssen sie mit einem Ausfall überraschen, und wenn wir den versieben, dann gute Nacht! Ich sag’s noch mal: Ein Mucks, und du kriegst was zwischen die Rippen.«
    Der Junge nickte wie ein Verrückter. Allein wäre Woody die Kellertreppe hochgeflitzt und wäre im Nu draußen gewesen und – oh Scheiße, genau über ihnen waren Schritte zu hören.
    »Pass auf«, sagte er, während er das Klebeband an einem Fußknöchel des Jungen aufschlitzte. »Ich schneide dich los, du ziehst meinen Mantel an, und dann verschwinden wir durch den Seiteneingang. Ich habe meinen Chevy gegenüber geparkt.« Er brauchte dem Jungen nicht zu sagen, dass sie rennen mussten.
    Er machte auch den anderen Fuß frei. Noch am Stuhl hängend, versuchte der Junge bereits aufzustehen. »Jetzt warte doch, verdammt noch mal!« Kamen die Stimmen näher? Ein Handgelenk war frei, und ehe Woody auch das andere lösen konnte, riss sich der Junge das Klebeband vom Mund und schrie wieder los.

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