Gefrorene Seelen
brauchte ein Spielzeug. Ein Kasten mit Bauklötzen wäre nicht schlecht; er würde sich mal umschauen. Sicher, das Pärchen hatte keine Kinder – das wusste er nach längerer Beobachtung –, aber man war immer wieder überrascht, was für Krempel die Leute in ihren Wandschränken aufbewahrten. Vor ein paar Wochen hatte er bei einem Bruch einen Yogi-Bär aus Plastik gefunden, den nun sein Sohnemann überall mit sich herumschleppte.
Das Schloss des Seiteneingangs hatte ihm keine Schwierigkeiten bereitet: In siebenundzwanzig Sekunden war es geknackt. Nicht unbedingt Rekord, aber auch keine schlechte Zeit. Woody hatte im oberen Stockwerk begonnen, wie er es gewöhnlich immer machte. Er hing der abergläubischen Vorstellung an, ein solches Vorgehen entspreche der natürlichen Ordnung, weil man so mit der Schwerkraft von oben nach unten arbeitete. In seinen leisesten Turnschuhen bewegte er sich jetzt auf das rückwärtige Schlafzimmer zu. Aus Überlegung und Erfahrung wusste er, dass das glückliche Paar üblicherweise dort nächtigt.
Doch er sah sich in seiner Erwartung enttäuscht. Der rückwärtige Raum war ein Mädchenzimmer, kein eheliches Schlafgemach. Die Wände waren rosa gestrichen, das Bett hatte einen weißen Holzrahmen, und die Frisierkommode war mit Cremetöpfchen übersät, die meisten von ihnen medizinische Präparate. Die blassgelbe verschlissene Tapete, die sich an einer Stelle schon von der Wand löste, musste früher einmal ein Sonnenschirmdekor gehabt haben. Ein Stofftiger auf der Frisierkommode erregte Woodys Aufmerksamkeit – der könnte Kipper gefallen –, doch aus der Nähe besehen, stellte sich heraus, dass dieser Tiger mit Hundeohren während so mancher Kinderkrankheit geknuddelt und gelutscht worden sein musste. So etwas konnte er schlecht mitnach Hause bringen. »Was denkst du dir dabei?«, hätte Martha gesagt. »Das ist doch unhygienisch.«
Er hielt einen Augenblick inne und spitzte die Ohren. Nein, die alte Dame rührte sich nicht. Wahrscheinlich war sie auch taub. Die Arme war seit mindestens drei Tagen nicht an die frische Luft gekommen.
Das Kopfteil des Bettes hatte ein eingebautes Bücherregal mit Schiebetüren. Das war genau die Sorte Versteck, in der die Leute gern Schmuck und andere Wertgegenstände aufbewahrten. Woody, wie alle Vertreter seiner Branche ein eingefleischter Optimist, schob erwartungsvoll das Paneel beiseite.
Und erlebte seine zweite Überraschung. Er hatte erwartet, ein paar Unterhaltungsromane von Danielle Steel (Martha las überhaupt nur so was) oder Barbara Taylor Soundso in die Finger zu bekommen. Doch das hier glich eher einem Giftschrank:
Folter, Japanische Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg, Justine
und
Juliette
– beide von einem Marquis de Sade. Von dem Burschen hatte er schon mal gehört.
Bei jedem Einbruch erlaubte sich Woody einen Augenblick, in dem er, einen kostbaren oder kuriosen Gegenstand in der Hand, seiner Phantasie die Zügel schießen ließ und sich das Leben vorstellte, in das er eingedrungen war. Das hier war so ein Augenblick. Er zog
Juliette
aus dem Regal. War der Marquis nicht dieser Franzose, der gern mit Peitschen, Ketten und anderem Klimbim den wilden Mann markierte? Woody überflog eine Seite mit einem Eselsohr als Lesezeichen und Markierungen am Rand:
Ich ergriff die Brüste, drückte sie hoch und schnitt sie knapp über dem Brustkorb ab; diese Fleischklumpen band ich an einer Schnur fest …
Woody blätterte weiter und merkte, dass alles nur noch schlimmer wurde. Auf dem Vorsatzblatt war mit Kugelschreiber eine Widmung geschrieben:
Für Edie von Eric.
»Um Himmels willen, Eric«, flüsterte er. »Das ist doch kein Buch, das man einer Frau schenkt. So was ist doch krank, und du bist ganz schön krank imKopf.« Woody beschloss unverzüglich, sich bei diesem Bruch nur noch um das Wesentliche zu kümmern.
Martha hätte sich beim Anblick des Badezimmers vor Ekel geschüttelt: Der Ausguss hatte Rostflecke, die Kacheln waren verdreckt. Die Handtücher roch man schon im Flur. Der Arzneischrank war vollgestopft mit Schlaftabletten und Tranquilizern aus Pharma-City, dem Drugstore in der Mall. Solche Funde konnten die Krönung eines Fischzugs sein. Aber Woody machte nicht in Drogen. Weder nahm er welche, noch handelte er damit, und das war Marthas Verdienst. Aber es hatte mal eine Zeit gegeben, erinnerte er sich versonnen …
Ein Geräusch von irgendwoher. Stimmen. Er erstarrte vor dem gesprungenen Spiegel und horchte mit zur Seite
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