Gefrorene Seelen
dann veranstalten Sie bestimmt eine Gegenüberstellung, Miss Delorme. Sie sind doch nicht verheiratet, oder?«
»Angenommen, jemand hat Ihr Auto gesehen, Woody. Wir haben Ihr Kennzeichen.«
»Ja, wenn man Ihnen meine Autonummer angegeben hat, dann hängen Sie mich am besten gleich. Sie sehen aus wie ein Single. Sie haben so was Unverheiratetes an sich. Detective Delorme, Sie sollten heiraten. Ich wüsste nicht, was ich ohne Martha und Truckie mit meinem Leben machen sollte. Familie und Kinder? Na, das halbiert den Kummer und verdoppelt die Freude im Leben. Das ist das Wichtigste, was es überhaupt gibt. Und die Arbeit bei der Polizei ist doch mit viel Stress verbunden.«
»Versuchen Sie doch mal zuzuhören, Woody. Laut Zeugenaussage ist ein blauer ChevyVan nach dem Einbruch in der Water Road von dort weggefahren. Sie behaupten, sie seien zu Hause gewesen, aber andere Zeugen haben gesehen, dass Ihr Wagen nicht in der Zufahrt stand. Nehmen Sie die Aussage hinzu, dass Ihr Auto am Tatort gesehen wurde. Wieviel kriegen Sie am Ende dafür? Zehn Jahre.«
»Wie können Sie nur so etwas sagen? Augenzeugen sind bekanntermaßen unzuverlässig. Zum Teufel noch mal, Sie wissen so gut wie ich, dass mich nie jemand sieht. Ich gehe meiner Arbeit gern diskret nach. Gott sei Dank bin ich nicht in dieser Branche, um Leute kennen zu lernen.«
Sergeant Flower klopfte an. »Seine Frau ist hier. Sie hat die Kaution bezahlt.«
»Ich werde Sie für die ganze Einbruchserie drankriegen, Woody. Sie können jetzt gleich ein Geständnis ablegen, oder Sie können mir weitere Ermittlungsarbeit aufhalsen. Aber ich kriege Sie für die ganze Serie dran.«
»Wenn ich auf Leute treffen wollte, würde ich Straßenräuber werden.«
*
Eine Fähigkeit, auf die sich Delorme etwas zugute hielt, war die Gabe, alles aus ihrem Kopf zu verbannen, was im Augenblick unwesentlich war. Als sie später am Nachmittag den kurvenreichen südlichen Abschnitt der Peninsula Road entlangfuhr, hatte sie ArthurWood vergessen und grübelte schon wieder über dem Verdacht, den Corporal Musgrave ausgestreut hatte.
Die Straße wurde immer schmaler, bis schließlich drei schwer mit Schnee behangene Zweige das Dach des Autos streiften. Der weiße Fichtenwald erinnerte sie an eine Schlittenfahrt vor langer Zeit. Mitten in einem Haufen anderer Teenager hatten sich damals sie und der dreizehnjährige Ray Duroc mit geschlossenen Lippen geküsst, bis ihnen der Mund wehtat. Das Letzte, was sie von Ray gehört hatte, war, dass er auf der anderen Seite des Erdballs lebte, wo jetzt die Bäume grün statt weiß waren und die Sonne richtig wärmte.
Sie las die Namen auf den Briefkästen, bog scharf links ab und wäre beinahe an der Zufahrt vorbeigefahren. Ein Namensschild fehlte. Sie parkte das Auto am Straßenrand und ging die Zufahrt hinauf, an deren Ende eine große braune Mercedes-Limousine stand. Delorme mochte gar nicht daran denken, was die wohl gekostet hatte.
Nach Corporal Musgrave wirkte der frühere Senior Constable Joe Burnside wie eine erfrischende Brise. Joe Burnside war blond, einsfünfundneunzig groß – wo finden die Mounties bloß immer diese vielen langen Kerle? – und ein vergnügtes Haus. »Arbeiten Sie nicht in der Abteilung für Sonderermittlungen? Ich kenne Sie. Sie haben Bürgermeister Wells hinter Gitter gebracht! Treten Sie ein!«
Delorme zog ihre Stiefel aus und folgte ihm in die Küche, wo er ihr eine Tasse heißen Kaffee einschenkte. Sie revidierte ihre erste Schätzung. Er musste eher zwei Meter groß sein.
»Wissen Sie, Sie sollten sich von der Polizei verabschieden und richtig gutes Geld verdienen«, riet er ihr zehn Minuten später. Sie saßen in schweren Polstersesseln mit Blick auf die verschneite Four Mile Bay. »Mit Ihrem beruflichen Hintergrund wären Sie einsame Spitze. Schauen Sie mich an – acht Jahre lang Corporal in der Abteilung für Wirtschaftskriminalität, und nun habe ich meine eigene Firma: Joe Burnside. Glauben Sie mir, ich bin derLetzte, der von sich behauptet hätte, so etwas zu können. Mittlerweile muss ich Angebote ablehnen. Die Nachfrage ist größer, als wir bewältigen können. Und denken Sie nicht, dass wir der RCMP Arbeit wegnehmen. Entschuldigen Sie mich bitte einen Augenblick.« Er ging zu einer Couch hinüber, wo ein knochiger alter Collie zusammengerollt schlief. Er beugte sich zum Kopf des Hundes hinab und schrie ihm laut genug, um Delorme zu verschrecken, in die Ohren: »Steh auf, du fauler Köter!«
Der Hund
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