Gefrorene Seelen
Menge Polizisten sagen – ob Mounties, OPP oder sonst wer –, ist noch viel scheußlicher.«
»Danke für den Kaffee. Ich konnte etwas Warmes brauchen.« Delorme machte die Druckknöpfe ihres Mantels zu und zog dann die Handschuhe an. »Aber ich habe nie gesagt, gegen wen sich meine Ermittlungen richten.«
13
W ie in Cardinals Jugendzeit war D’Anunzio immer noch ein Magnet für Teenager. Als Jugendtreff war dieser Obst- und Gemüseladen mit angeschlossener Trinkhalle schon etwas merkwürdig. Doch Joe D’Anunzio, der die Bescheidenheit eines Mönchs mit der Leibesfülle eines Opernstars verband, zählte jeden, der in seinen Laden trat, zu seinen Freunden. Er pflegte die Trinkhalle mit der Professionalität eines Barkeepers alter Schule und machte zwischen jungen und alten Gästen keinen Unterschied. In seinem Lokal durften Jugendliche stundenlang bei Cola, Kartoffelchips und Schokoriegeln in den Sitzgruppen herumlungern. Als Kinder waren Cardinal und die anderen Ministranten der Hauptkirche nach der Messe immer hier eingefallen, und später, als sie den Chorröcken entwachsen waren, trafen sie sich nicht mehr in der Kirche, sondern gleich bei D’Anunzio. Statt Weihrauchduft verbreiteten sie Zigarettenqualm, und Schokoriegel und Eiskrem ersetzten Brot und Wein.
Cardinal nippte an seinem Kaffee und sah den Jugendlichen bei den Videospielen zu. Als Cardinal in ihrem Alter war, hatte hier ein Flipperautomat gestanden. Ein Flipper verschaffte ein eher körperliches, kein bloß virtuelles Erlebnis, und für ein Fünfcentstück konnte man es so richtig schön klingeln und scheppern lassen. Unter der Regie des Daddelfreaks, der gerade spielte, gab der technisch ausgefeilte Nachfolger nur entnervendes Gepiepse und Geblubber von sich.
»Wann ist das Haus denn abgebrannt, Joe?«
»Da drüben an der Main Street?« Joe servierte gerade Kirsch-Cola für zwei blonde Mädchen mit gleichem Haarschnitt: gestutzt auf der einen Seite, lang auf der anderen. Beide trugen Metallstecker in den Nasenflügeln, die wie verchromte Pickel aussahen. Früher hatten die Mädchen das Haar lang getragen, mit einem Scheitel in der Mitte. Das gab ihnen – so schien es jedenfalls inCardinals verklärter Sicht – einen sanften, seelenvollen Touch. Warum verunstalteten sich diese Mädchen mit Absicht?
Joe ging den Tresen entlang bis zur Kasse. »Das muss im November gewesen sein. Anfang November. Die Feuerwehr ist mit fünf, sechs Löschzügen angerückt.«
»Bist du sicher, dass es nicht später war? Nach Neujahr?«
»Bestimmt nicht. Es war vor meiner Leistenbruchoperation, und die war am zehnten November.« Joe drehte seine Leibesfülle und schenkte Cardinal Kaffee nach. »Wie konntest du nur so einen Brand verpassen?«
Zwei vermisste Jugendliche. Und im November hatte Catherine ihre Depression bekommen. Cardinal hatte damals andere Sorgen.
Er trug seine Tasse zum anderen Ende des Tresens ans Fenster. Auf der Westseite des Platzes kam eine Trauergesellschaft aus der Kirche, vier Männer in schwarzem Anzug trugen einen Sarg auf den Schultern. Ohne Mäntel mussten sie dort draußen frieren. Auf der anderen Seite des Platzes vor dem Trümmergrundstück stand ein Mann in grünem Parka und passender Pelzmütze. Er machte sich Notizen, seine Atemwolke glitzerte in der Sonne.
Cardinal verließ die Trinkhalle und drängte sich durch die Passanten. Der Mann hatte ein Klemmbrett mit einem Formblatt, in das er etwas eintrug. Cardinal stellte sich vor.
»Tom Cooper«, stellte sich der Mann seinerseits vor. »Von der Firma Cooper, Bauunternehmungen. Ich sehe gerade, dass die Leute vom Abbruch mit der Arbeit hinterherhinken. Eigentlich hätte das Grundstück bis Dienstag abgeräumt sein müssen. Jetzt haben wir schon Freitag. Es ist nicht leicht, Profis in der Stadt zu finden. Ich meine richtige Profis.«
»Mr. Cooper, als Bauunternehmer werden Sie sicherlich ein Auge für solche Grundstücke haben. Sie kennen nicht zufällig andere leerstehende Häuser an der Main West Street?«
»Nein. Nicht an der Main West. Drüben an der MacPhersonStreet gibt es eines. Und draußen am Trout Lake. Aber hier in der Stadt stehen Häuser nicht lange leer.«
»Ich habe etwas von einem leeren Haus an der Main West gehört. Jedenfalls hat es im Dezember noch leergestanden. Jugendliche sollen sich da herumgetrieben haben, möglicherweise waren Drogen im Spiel. Haben Sie davon etwas mitbekommen?« Cardinal merkte, dass er mit gedämpfter Stimme sprach. So vage war
Weitere Kostenlose Bücher