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Gefrorene Seelen

Gefrorene Seelen

Titel: Gefrorene Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
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der Veranda reparierten, hatten vorn ein Gerüst aufgebaut. Als Cardinal unten klingelte,hörte er sie auf dem Dach auf Französisch –
tabarnac, ostie
– fluchen. Anders als die Anglos, die den üblichen sexuellen Wortschatz im Munde führten, entlehnten die Frankokanadier ihre Schimpfwörter der Sprache der Kirche. Wir fluchen mit dem, was wir fürchten, dachte Cardinal, ohne diesen Gedanken weiter vertiefen zu wollen.
    »Ja, ich erinnere mich an ihn. Das Foto sieht ihm aber nicht sehr ähnlich.« Ned Fellowes gab Cardinal das gefaxte Foto zurück. »Er blieb eine Nacht bei uns, so um Weihnachten herum.«
    »Können Sie mir sagen, wann genau das war?«
    Fellowes führte ihn in ein kleines Büro, das früher einmal das Wohnzimmer gewesen war. In einer Kaminattrappe stapelten sich psychologische Bücher und Zeitschriften für Sozialarbeit. Fellowes schlug einen großen braunen Ordner auf und ging mit dem Finger eine Namensliste durch. »Todd Curry. War in der Nacht des 20. Dezember, einem Freitag, hier im Zentrum. Hat das Haus am Samstag wieder verlassen. Jetzt erinnere ich mich. Ich war überrascht, weil er gefragt hatte, ob er bis Montag bleiben könne. Aber Samstag gegen Mittag kam er herein und sagte, er habe eine coole Bleibe gefunden – ein leerstehendes Haus in der Main West Street.«
    »Main West. Da ist ein Trümmergrundstück, wo früher das Kloster St. Claire stand. Ist es das? Beim Castle Hotel?«
    »Ich weiß es nicht. Er hat ja keine Nachsendeadresse hinterlassen. Er hat nur ein paar belegte Brote hinuntergeschlungen und ist gegangen.«
    *
    In der Main West Street gab es nur ein leerstehendes Haus. Es war schon nicht mehr in der Stadtmitte, sondern ein paar Häuserblocks weiter, wo die Straße in eine Wohngegend führte. Das Kloster St. Claire war vor fünf Jahren abgerissen worden und gab nun den Blick frei auf eine Backsteinmauer mit einer Reklametafel, die dazu aufforderte, Northern Ale zu trinken – das Erzeugniseiner örtlichen Brauerei, die schon seit mindestens drei Jahrzehnten nicht mehr existierte. Nach dem Kloster waren weitere Häuser abgerissen worden, um mehr Parkfläche für das hiesige Einkaufszentrum zu schaffen. Von Baumstümpfen und wucherndem Gestrüpp umgeben, stand das einzelne Haus in einer Ecke wie ein letzter fauler Zahn, der darauf wartete, ebenfalls gezogen zu werden.
    Genau das Richtige, dachte Cardinal, als er die Macpherson Street zum See hinunterfuhr: Das Haus war nur einen Häuserblock von D’Anunzio’s – einem Szenelokal – entfernt und nur einen Steinwurf von der Highschool. Ein junger Streuner hätte gar keine bessere Bleibe finden können. Cardinal wurde plötzlich von einem pulsierenden Gefühl durchströmt.
    Zur Rechten tauchte das Castle Hotel auf, dann parkte er vor dem arg ramponierten Zaun, der von Gestrüpp überwuchert war. Er ging zum Gartentor und betrachtete durch kahle überhängende Zweige hindurch den Ort, wo das Kloster gestanden hatte. Nun hatte er einen unverstellten Blick bis zu D’Anunzio’s drüben an der Algonquin Avenue.
    Der Geruch von verbranntem Holz stieg ihm in die Nase, obwohl die Ruinen von Schnee bedeckt waren. Die Trümmer waren mit einem Bulldozer zu einem Haufen aufgetürmt worden. Die Hände in die Hüften gestemmt, stand Cardinal da wie ein Mann, der das Ausmaß des Schadens abschätzte. Ein angekohltes Kantholz ragte aus der dünnen Schneedecke und streckte sich wie ein mahnender Zeigefinger zum Himmel empor.

12
    D elorme fragte sich, ob Cardinal bei der Ermittlung vorankam. Es machte sie wütend, sich mit solchem Kleinkram zu beschäftigen, während draußen ein Mörder frei herumlief. Nachdem sie den halben Morgen die Akten zum Fall Arthur »Woody« Wood studiert hatte, ging ihr auf, wie sehr sie darauf brannte, Katie Pines Mörder zur Strecke zu bringen. Vielleicht konnte sich nur eine Frau so sehr wünschen, einen Kindesmörder in Handschellen zu sehen. Delorme war dreiunddreißig und hatte schon manche Stunde darüber phantasiert, wie es wäre, ein Kind zu haben, auch um den Preis, es allein aufziehen zu müssen. Die Vorstellung, dass jemand einem jungen Menschen einfach das Lebenslicht ausblasen konnte, brachte sie so in Rage, dass sie sich nur schwer zu beherrschen wusste.
    Aber durfte sie losziehen und Jagd auf dieses kranke, abartige, abgrundtief böse Ungeheuer machen? Nein, sie musste Arthur »Woody« Wood verhören, den Inbegriff des Kleinkriminellen. Delorme war ihm in einem Zivilfahrzeug die Oak Street

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