Gefrorene Seelen
sie lachen.
»Ich bin seit einer Woche krank«,
las Eric laut vor.
»So genau weiß ich es selbst nicht, aber du glaubst gar nicht, wie fertig man sich fühlt, wenn man sich zum zehnten Mal hintereinander erbrochen hat.«
»Siehst du, Eric. Keith mochte meinen Pharmacocktail, meinen Zaubertrank. Die Valium-Pillen haben ihn aus den Pantoffeln gehauen. Die geben dem Ganzen das gewisse Etwas.«
Oh, wie liebte sie es, wenn Eric lachte. Warum konnte er nicht immer so sein? So witzig und so umgänglich. In solchen Augenblicken glaubte sie fast, sie könnten ein normales Paar sein, ein ganz normales Paar, das Vergnügen aneinander hatte. Darüber konnte man den grauen Winter und die Kälte vergessen.
In solchen Augenblicken dachte sie nicht daran, wie sie aussah. Ihr war nicht entgangen, wie Keith London ihr Gesicht und ihre Figur nach Männerart überflogen, wie er sie eingeschätzt und dann abgestempelt hatte, allen netten Worten zum Trotz. Das hatte sie gleich beim ersten Mal gesehen. Doch das zählte nicht, wenn Eric bei ihr und wenn er glücklich war.
»Lass jetzt besser die bunten Pillen und gib ihm nur Valium«, wies Eric sie an. »Das geht nicht, dass er sofort wieder hochwürgt, was wir ihm geben. Hörst du?«
Von oben kam das übliche Klopfen. Mein Gott, dachte Edie, kann die Alte nicht einmal Ruhe geben? Ich bin hier mit dem Mann, den ich liebe, zusammen und habe endlich Spaß an meinem Leben. Warum kann sie uns nicht in Ruhe lassen?
Erics Antwort auf das fordernde Pochen bestand darin, lauter vorzulesen.
»Ich wohne hier bei einem jungen Pärchen. Die beiden sind sehr merkwürdig, aber Tatsache ist, dass ich ohne sie wahrscheinlich schon tot wäre.«
»Was sagst du dazu, Eric? Ohne uns wäre Keith wahrscheinlich schon tot.«
»Die Frau, Edie heißt sie, arbeitet in einem Drugstore und bekommt alle möglichen Medikamente umsonst. Wenigstens behauptet sie das. Ich glaube eher, dass sie sie klaut.«
»Dieses miese kleine Arschloch«, sagte Edie. »Der wird sich noch mal wünschen, diesen Brief nie geschrieben zu haben. Pass auf. Den bringe ich zum Winseln.«
Wieder machte es oben bum, bum, bum.
»Hör mal«, sagte Eric.
»Ich denke an dich, ich träume von dir, ich sehne mich nach dir. Ich wünsche mir, dass wir uns wieder lieben – ich fühle mich so wohl bei dir!«
Darauf folgten ein paar eindeutige Passagen, die Eric mit so hoher und komischer Stimme vorlas, dass sich beide vor Lachen bogen und den Tränen nahe waren.
»Eric sagte, im Haus gebe es kein Telefon, aber ich habe es gerade jetzt klingeln hören. Das beunruhigt mich schon ein bisschen.«
»So, so, Keith. Du findest das ein bisschen beunruhigend?«
»Wie beunruhigend wirst du es erst finden, wenn wir dir an die Eier gehen.«
»Wir hauen dir die Grütze aus dem Schädel, du kleines Miststück. Was ist denn los?«
Eric war plötzlich verstummt.
»Was ist, Eric?«
Er zeigte ihr den Brief und deutete auf eine unten an den Rand gekritzelte Zeile. Es war Edies Adresse. »Wie konnte er sich an die Adresse erinnern, verdammt noch mal? Er hatte doch mächtig einen sitzen.«
Eric faltete den Brief und steckte ihn in das Kuvert, das sie unter Wasserdampf geöffnet hatten. »Ich schmeiß ihn weg. Nein, besser ich spül ihn im Klo …«
»Was geht hier vor? Warum kommst du nicht, wenn ich dich rufe?«
Edies Großmutter stand, auf ihren Laufwagen gestützt, in derTür und sah ihre Enkelin aus rot geränderten Augen vorwurfsvoll an.
»Entschuldige, wir haben gerade Musik gehört.«
»Ich höre keine Musik. Ich habe geklopft, und du bist nicht gekommen, Edie. Geklopft und geklopft habe ich. Warum ist Eric noch hier?«
»Hallo, Mrs. Soames«, grüßte Eric lächelnd. »Soll ich Ihnen den Schädel einschlagen?«
»Was sagt er?«
»Nichts von Bedeutung, Oma. Komm, ich bring dich wieder hoch.«
Aber die Alte war noch nicht fertig. Wenn sie mit ihren Vorhaltungen erst einmal in Fahrt war, konnte man sie nur schwer bremsen. »Ich verstehe nicht, wieso du nicht kommst, wenn ich dich rufe, Edie. Ich verlange nicht zu viel. Viele Leute würden erheblich mehr von jemandem verlangen, den man wie ein eigenes Kind aufgezogen hat.«
»Das liegt daran, dass sie dich hasst. Kein Grund zur Besorgnis. Sie hat einfach eine Mordswut auf deinen stinkenden Kadaver.«
»Lass sie in Ruhe, Eric. Ich bringe sie hoch.« Edie half ihrer Großmutter beim Wenden und warf Eric funkelnde Blicke zu.
Als die Frauen weg waren, ging Eric in die enge Toilette unter der
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