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Gefrorene Seelen

Gefrorene Seelen

Titel: Gefrorene Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
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Bekannten traf, erkannte sie an deren Blick, dass sie die Veränderung bei Lise Delorme bemerkt hatten. Ständig unter Männern zu arbeiten hatte sie härter gemacht, und auf eine Weise, die ihr selbst teilweise verborgen blieb, war sie im Umgang mit Frauen zurückhaltender und weniger geduldig geworden.
    All das zusammen führte dazu, dass sie eine beträchtliche Zeit allein verbrachte. Aus diesem Grund hatte sie, anders als alle anderen bei der Kripo, unausgesprochen Angst vor dem Feierabend. Als Cardinal sie dann eines Abends mitten im Schreiben von Akten mit dem Vorschlag überraschte, zu ihm nach Hause zu fahren und dort ein Brainstorming abzuhalten, weckte das alle möglichen Gefühle in ihr, Schwalben nicht unähnlich, die sich in ihre Nester unterm Scheunendach drängen. »Keine Sorge«, hatte Cardinal gefrotzelt, ehe sie überhaupt etwas antworten konnte, »ich werde Sie nicht mit meinen Kochkünsten traktieren. Wir können uns eine Pizza ins Haus bestellen.«
    Delorme zögerte und sagte, sie wisse nicht so recht. Abends sei sie immer ziemlich müde; sie würde daher wohl kaum einen Wirbelwind neuer Ideen entfesseln.
    »Fehrenbach fällt als Verdächtiger aus, stimmt’s? In welche Richtung sollen wir jetzt ermitteln?«
    »Ich weiß, es ist nur …«
    Cardinal hatte sie mit einem leichten Stirnrunzeln angesehen. »Lise, wenn ich Ihnen Avancen machen wollte, dann sicherlich nicht bei mir zu Hause.«
    *
    Dann war jeder in seinem Auto zu Cardinals winterkaltem Cottage an der Madonna Road gefahren, wo Cardinal erst einmal im Kamin Feuer machte. Delorme war ganz gerührt, wie freundlich er war. Er zeigte ihr Tischlerarbeiten, die er für die Küche angefertigt hatte, und dann ein großes Landschaftsbild – eine Ansicht des Trout Lake mit der NORAD-Luftwaffenbasis im Hintergrund –, das seine Tochter im Alter von zwölf Jahren gemalt hatte. »Die künstlerische Ader hat sie von ihrer Mutter. Catherine ist Fotografin«, erläuterte er und zeigte auf das sepiabraune Foto eines einsamen Ruderboots an einem unbekannten Ufer.
    »Die beiden müssen Ihnen fehlen«, hatte Delorme gesagt. Es war ihr so herausgerutscht, und sie bereute es sogleich. Doch Cardinal hatte nur mit den Achseln gezuckt und das Telefon zur Hand genommen, um die Pizza zu bestellen.
    Als die Pizza kam, hatten sie schon einige Ideen durchgespielt. Der Grundgedanke beim Brainstorming bestand darin, dass man über die Vorschläge des anderen kein Urteil abgeben durfte; es war verboten, den anderen in irgendeiner Weise in seinem Gedankenfluss zu hemmen. Deswegen war es auch ein guter Einfall gewesen, die Übung fern vom Polizeipräsidium zu machen; hier konnten sie wirklich verrückte Sachen ausbrüten, ohne sich dabei allzu töricht vorzukommen.
    Sie waren richtig in Fahrt gekommen, als plötzlich das Telefon klingelte. Kaum hatte Cardinal abgenommen, waren seine ersten Worte: »Ach du Scheiße! Ich bin in zehn Minuten da.« Er warf das Telefon auf die Couch, griff sich seinen Mantel und klopfte auf die Taschen, um sich zu vergewissern, dass er die Schlüssel bei sich hatte.
    »Was ist denn los?«
    »Ich habe ganz vergessen, dass wir um sechs Uhr einen Termin mit der Presse haben. R. J. hat die Sache arrangiert, damit Grace Legault nicht durchdreht. Tut mir leid. Es ist einer dieser Termine, wo wir der Presse Dinge sagen, die wir eigentlich nicht so gern an sie weitergeben, damit sie ihrerseits nichts verbreiten, was wir nicht verbreitet haben wollen. Das ist wenigstens der Hintergedanke bei der Sache.«
    »Wessen Gedanke?«
    »Dysons. Ich habe ihm allerdings zugestimmt.«
    »Na, dann werde ich jetzt gehen.«
    »Nein, nein. Bitte, lassen Sie doch die Pizza nicht kalt werden. Länger als eine Stunde wird es sicherlich nicht dauern.«
    Delorme hatte protestiert, Cardinal hatte darauf bestanden, und so war sie am Ende geblieben und knabberte nun in der plötzlichen Stille, die Cardinal hinterlassen hatte, lustlos an ihrer Pizza. Das Ganze schien so, wie sagte man, abgekartet. Erst lud er sie zu sich nach Hause ein, dann »vergaß« er seinen Pressetermin. Dazwischen kam die Pizza.
    Bei ihr entstand der Eindruck, er wollte ihr zumindest für eine Stunde sein Haus überlassen: Nur zu, schnüffle ruhig herum – ich habe nichts zu verbergen.
    War das Cardinals Art, ihr (oder Dyson oder dem ganzen Dezernat) die Peinlichkeit eines Durchsuchungsbefehls zu ersparen? Oder war es ein Präventivschlag, mit dem er ihr den Wind aus den Segeln nehmen wollte? Wäre er

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