Gefrorene Seelen
wahrheitsgemäß mitgeteilt hatte. Ferner zeigte sich, dass Catherine Cardinal mit ihrem Teilzeitjob als Dozentin für Fotografie am Algonquin College kaum mehr als ein Taschengeld verdiente. Doch daneben gab es noch einen anderen Ordner, der ungleich interessanter schien, eine Erklärung für die amerikanische Steuerbehörde. Sie lief auf Catherine Cardinals Namen, war aber in Cardinals unverkennbarer Klaue ausgefüllt. Niemals würden Sie die Hilfe eines Steuerberaters in Anspruch nehmen, Mister Cardinal, das ließe Ihre intellektuelle Eitelkeit nicht zu. Aus dem Blatt ging hervor, das Catherine Cardinal aus einer Eigentumswohnung in Miami Mieteinnahmen in Höhe von elftausend US-Dollar hatte. Offenbar war die Wohnung aber die meiste Zeit des Jahres über nicht vermietet.
»Datum des Erwerbs«, flüsterte Delorme, während sie die ungewohnten Formulare durchblätterte. »Wo steht es denn? Datum des Erwerbs. Er muss doch irgendwo angeben, wann er das Ding gekauft hat.« Mit dem blauweißen Formular in der Hand setzte sie sich. Catherine Cardinal hatte die Eigentumswohnung in Florida mit einer Anzahlung von sechsundvierzigtausend US-Dollar vor drei Jahren gekauft – keine sechs Wochen nach der ersten polizeilichen Blamage im Fall Corbett.
Ruhig Blut, sagte Delormes innere Stimme. Noch weißt du gar nichts. Du suchst lediglich und hältst die Augen offen. Wir sammeln hier nur Informationen und fällen keine Urteile.
Cardinal hatte einen Teil der Jahresprämie seiner Hauseigentümerversicherung steuermindernd geltend gemacht. Delorme fand den Ordner mit der Aufschrift »Versicherungen«. Der auf der Police ausgewiesene Betrag schien auf den ersten Blick klein, aberdann erinnerte sie sich, dass Grundbesitz und nicht das Haus, das er bewohnte, teuer war. Der Ordner enthielt Rechnungen für langlebige Güter – Cardinals Camry, ein neuer Kühlschrank, eine Bandsäge –, doch dann stieß Delorme auf eine Rechnung, bei der sie erst einmal tief durchatmen musste. Sie war ausgestellt von der Calloway Marina in Hollywood Beach, Florida, und belief sich auf die Summe von fünfzigtausend Dollar für einen Chris-Craft-Kajütenkreuzer. Erworben im Oktober vor zwei Jahren, also zwei Monate nach dem zweiten Fehlschlag im Fall Corbett.
Wieder bemühte sich Delorme, ihr Herzklopfen im Zaum zu halten und sich vor voreiligen Schlüssen zu hüten. Wer vorschnell urteilte, wurde zu einer Gefahr für jeden, der einem ins Gehege kam. Aber dieser Betrag und gerade zu dem Zeitpunkt – ja, das war zweifellos verdächtig.
Aus der unteren Schublade von Cardinals Aktenschrank zog sie einen Ordner mit der Aufschrift »Yale«. Sie überflog rasch den Inhalt. Diverse Schreiben auf teurem Geschäftspapier bestätigten, was sie bereits über Yale wusste. John Cardinal schickte seine Tochter für ein Heidengeld auf eine Eliteuniversität. Jährlich über fünfundzwanzigtausend kanadische Dollar, ohne Lebenshaltungskosten, und hinzu kamen noch Reisekosten und Künstlerbedarf. Cardinal hatte gesagt, Kelly sei in ihrem dritten Studienjahr, also hatte er schon fünfundsiebzigtausend Dollar für sie ausgegeben, und ihre Ausbildung war noch nicht beendet.
Delorme legte die Papiere zurück und schloss die Schublade. Lass es dabei bewenden, sagte sie sich: Die Segeljacht, die Eigentumswohnung – da gibt es bereits genug zu recherchieren.
Sie stellte Cardinals Pizzahälfte in den Kühlschrank, wusch ihren Teller ab und zog ihren Mantel an. Dann schaltete sie das Licht aus und fragte sich, welcher Teufel nur ihren Kollegen geritten hatte, ihr diese Gelegenheit zu einer heimlichen Durchsuchung seines Hauses zu geben, wenn sich dort so viele belastende Unterlagen befanden. Sie konnte sich keinen Reim darauf machen.
Auf der Fahrt zurück in die Stadt rief sie mit ihrem Handy Malcolm Musgrave an. »Ich bin auf einige sehr interessante Rechnungen gestoßen – teure Erwerbungen gleich nach Ihren Polizeiaktionen im Fall Corbett. Aber ich kann Ihnen noch nicht sagen, wo ich sie gefunden habe.«
»Ich verstehe, er ist Ihr Kollege, aber denken Sie daran, dass Sie diese Ermittlung nicht allein führen. Um welche Summe handelt es sich denn?«
»Sechsundneunzigtausend US-Dollar. Dazu kommen noch die Kosten für eine Tochter in Yale.«
»Wahrscheinlich verdient unser hochgeschätzer Polizeichef so viel, aber weder Sie noch ich noch Ihr Kollege beziehen solche Spitzengehälter.«
»Ich weiß, es sieht schlecht für ihn aus. Aber er lebt nicht auf großem
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