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Gefühlte Nähe: Roman in 23 Paarungen (German Edition)

Gefühlte Nähe: Roman in 23 Paarungen (German Edition)

Titel: Gefühlte Nähe: Roman in 23 Paarungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Martenstein
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nicht wissen, wo er hinging. Allein schon die Frage machte ihn nervös.
    Er hätte rechtzeitig eine Produktionsfirma gründen sollen. Die Show selbst produzieren, junge Talente entdecken, Rückzug hinter den Vorhang. Und hinter dem Vorhang die Hand aufhalten. Nie mehr Lampenfieber. Nur noch Rechnungen unterschreiben. Er war zu risikoscheu gewesen. Weil ich nicht vom Zehnmeterbrett gesprungen bin, sagte er sich, muss ich jetzt vor aller Augen die Treppen des Sprungturms wieder heruntersteigen.
    Röhricht ging mit ihm essen. Das tat er einmal im Quartal, seit vielen Jahren, seit er sein Chef war. Damals waren sie beide noch bei einem anderen Sender gewesen, und Grün war eine Hoffnung, er sah gut aus, er war heiß. Röhricht hatte einen Blick für Leute, deren Potenzial nicht ausgeschöpft war.
    Sie saßen am Wasser. Grün fragte sich, ob das Gewässer die Spree war oder die Havel oder einer von diesen Kanälen. Für ihn sah das alles vollkommen gleich aus, die gleiche braune Soße. Er überwand sich zu fragen, aber Röhricht wusste es auch nicht.
    Grün wartete darauf, dass Röhricht ihm ein Signal sinkender Wertschätzung sandte. Er spürte eine Mischung aus Ungeduld und Angst, wie ein Soldat, der will, dass die unvermeidliche Schlacht endlich beginnt. Das Abendessen dauerte zwei Stunden, wie immer. Frühstück, unter Profis, eine Stunde, Abendessen zwei Stunden. Wenn seine Jackentasche nach 90 Minuten anfängt zu piepen, wenn er eine dringende SMS bekommt, wenn er seufzt, entschuldigen Sie, mein Bester, das Studio, Probleme, muss leider weg, wenn er das bringt, dann. Röhrichts Jackett blieb stumm. Noch, sagte sich Grün, bin ich sein Problem Nummer eins.
    Wenn Röhricht etwas beabsichtigt, dachte Grün, dann zeigt er es einem nicht. Deswegen hat er es so weit gebracht.
    Grün entschloss sich zur Offensive. Mal ehrlich, sollen wir etwas ändern, Röhricht? Sollen wir Sex in die Show hineinbringen? Das war eine naheliegende, leider etwas vage Idee. Wenn jemand sich im Fernsehen auszieht, wirkt das natürlich trashig, achtziger Jahre, Tutti Frutti. Andererseits sind die Zuschauer abgebrühter als früher, jeder landet doch beim Zappen irgendwann bei den Erotikclips oder bei den barbusigen Moderatorinnen der Verkaufssender. Man muss es nur ironisch machen. Sagte Grün. Röhricht war skeptisch. Das könnte draußen als Verzweiflungstat verstanden werden. So schlecht stünden sie auch wieder nicht da. An einer Quizshow lässt sich wenig ändern, sagte Röhricht. Vielleicht bei der Musik. Rockiger.
    Am Anfang hatte die Show Grün Spaß gemacht. Man durfte nicht so tun, als sei es etwas anderes, als das, was es ist. Man durfte es nicht ernst nehmen. Nach Grüns Ansicht waren viele Leute nur deswegen unglücklich in ihren Jobs, weil sie das Ganze ernst nahmen. Nichts wirkt bei Ihnen peinlich, Grün, sagte Röhricht oft. Weil der Zuschauer erkennt, dass Sie wissen, was Sie tun. Solange Sie als Moderator drüber stehen, geht unten eine ganze Menge.
    War Röhricht anders als sonst? Grün wusste es nicht. Zum Abschied ein Händedruck, auffällig kurz.
    Grün nahm ein Taxi, er fuhr zur Bar 25. Die Bar lag ebenfalls am Wasser, sie war aus Brettern provisorisch zusammengenagelt und sollte wohl an einen Saloon erinnern. Grün war sich ziemlich sicher, dass ihn hier niemand erkennen würde. Diese Leute schauten sich seinen Sender nicht an, die surften alle im Internet. Im Halbdunkel bewegten sich dunkel gekleidete Gestalten, beleuchtete Schiffe glitten vorüber, auch auf den Schiffen wurde gefeiert. Das gibt es nur in Berlin, dachte Grün, und ärgerte sich gleichzeitig über diesen Gedanken. Fällt mir denn gar nichts Originelles mehr ein? Er setzte sich ans Ufer und trank schnell. Eine Frau am Tresen fiel ihm auf, sie starrte ihn an. Sie war älter als das übrige Publikum, genau wie er, sie sah gut aus, fand Grün, sein Typ war sie allerdings nicht unbedingt.
    Nach ein paar Minuten stand die Frau auf, bezahlte, sie ging in Richtung Ausgang. Auf ihrem Weg kam sie an Grün vorbei. Ohne ihn anzusehen, steckte sie ihm einen Zettel in seine Jackentasche. Er spürte kurz ihren Arm und konnte kurz ihr Parfüm riechen.
    Grün wartete einige Minuten, bevor er die Adresse las. Es war nicht weit, eine Straße in Mitte. Außer der Adresse und einem Nachnamen, den er nicht kannte, stand nichts auf dem Zettel.
    Das Haus lag in der Nähe der Kastanienallee. Die Frau wohnte im dritten Stock. Sie trug ein blaues Herrenhemd, jetzt, im Licht des

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