Gefühlte Nähe: Roman in 23 Paarungen (German Edition)
Mitarbeiter des Hauses, wie früher die Dienstmädchen. Die Redakteure sehen durch sie hindurch, als seien sie Luft, sie gehören ja auch, de iure , wie Groll es nennt, zu einer anderen Firma.
Groll ist in dieser untersten Kaste immerhin ein Mitglied der Oberschicht. Er machte Warmakquise. Kaltakquise bedeutet, dass die angerufene Person von der Zeitung noch nie gehört hat und dementsprechend distanziert eingestellt ist. Im Falle der Warmakquise gab es früher schon mal ein Abo oder ein Probeabo.
Groll ist erfolgreich, weil die potenziellen Abonnenten, meistens doch wohl Akademiker, in ihm schon nach wenigen Sätzen ihresgleichen erkennen. Er weiß über die Autoren Bescheid, mit ihm lässt es sich am Telefon über die politische Linie der Zeitung und die Qualität des Feuilletons diskutieren. Ein philologisches Studium, denkt er manchmal, ist im Grunde eine ideale Vorbereitung für den Outbound.
Alle Stellen sind auf zwei Jahre befristet. Nach zwei Jahren werden die Angestellten entweder entlassen, oder ihr Arbeitsverhältnis verwandelt sich in ein unbefristetes. Groll ist, ein paar Wochen vor Ablauf der Frist, zu seiner Chefin gegangen. Er war eigentlich optimistisch. Er wollte es wissen, so oder so. Top oder Flop.
Seine Chefin – mag er sie? Diese Frage stellt sich nicht. Sie ist in seinem Alter. Sie arbeitet ungefähr genauso lange in der Firma wie er. Einmal, als er an ihrem Büro vorbeiging, an einer Milchglastür, hat Groll sie schreien hören, vielleicht schrie sie da gerade einen ihrer Untergebenen an. Davor hat Groll Angst, oder beinahe Angst. Er kann es nicht ertragen, wenn man ihn anschreit. Oder hat sie einfach nur so geschrien? Aus Verzweiflung?
Während er die Frage stellt, die Frage nach seiner Zukunft im Outbound, klingelt zweimal das Telefon. Die Chefin hebt nicht ab. Sie schaut nur einmal kurz aus dem Fenster. Dann sagt sie ihm, dass die Firma sehr zufrieden mit ihm sei. Er mache gute Abschlüsse. Wenn die Lage nur besser wäre.
Es gibt aber einen Weg, sagt sie. Der Verlag hat wieder eine neue Firma gegründet, die BGTS, Berliner Gesellschaft für Telefonkontakt und Strategie. Diese neue Firma sei in der Lage, ihm einen neuen Zweijahresvertrag anzubieten. Für Sie ändert sich damit gar nichts, eine bloße Formalie. Wunderbar, sagte Groll. Sehr gut.
Groll versucht, aus der Art, wie sie spricht, herauszulesen, ob sie ihn wirklich schätzt oder ob sie das nur dahersagt, weil es Vorschrift ist. Am Telefon, bei den Kunden, kann er aus den Stimmen so einiges herauslesen. Hier, Fehlanzeige.
Bei Ikea müssen Groll und N. erst einmal durch die Möbelausstellung laufen, ein weiter, gewundener Weg, ungefähr wie der Lauf der Mosel. Bei den Billy-Regalen gibt es zwei Sorten von Hell. Ein dunkles Hell und ein helles Hell. Buche und Birke. Da hätte man Paula fragen müssen, die hat schon ihren eigenen Geschmack. Ach, das entscheiden wir jetzt einfach, sagt Groll.
Nein, hey, das geht nicht, ich lauf schon, sagt N. Sie geht also zurück in das Kinderparadies, um Paula zu fragen. Paula weiß es auch nicht genau. Eher Buche.
Siehst du, sagte Groll. Es ist ihr egal. Ich kenne Paula. Bei der musst du nicht so ein Bohei machen.
Groll hat sich geärgert, weil N. ihm zu verstehen gegeben hat, dass er die Wünsche seiner Tochter nicht ernst nimmt, im Grunde also, dass er ein schlechter Vater sei. Groll weiß selbst, dass er nicht alles richtig macht, deswegen schmerzt ihn diese indirekte Kritik besonders.
Was bist du denn so aggressiv, fragt N., das macht doch überhaupt keine Mühe, die paar Meter zu laufen.
Als Kunde sucht man sich ein Möbelstück aus, ein Bett zum Beispiel, und geht zu einem der Schreibtische, an denen Mitarbeiter des Möbelhauses sitzen. Besser als der Outbound, denkt Groll, direkter Kontakt zu Menschen. Dort bekommt man eine Rechnung, die an der Kasse zu bezahlen ist. Mit der bezahlten Rechnung muss man an der Warenausgabe warten, bis die Nummer aufgerufen wird, die einem zugeteilt wurde, ein bisschen wie im Arbeitsamt.
Bei dem Bett geht es um die Frage: Zählt der Geschmack von N. oder der Geschmack von Groll? N. will etwas Klares, Schlichtes, am besten Bauhaus. Für Groll darf es ruhig ein bisschen verschnörkelt sein. Das Leben, sagt sich Groll, ist schnörkellos genug.
Ich muss drin schlafen, sagt Groll laut.
Ich muss es in meiner Wohnung stehen haben, sagt N., und du musst überhaupt nicht drin schlafen, du darfst vielleicht drin schlafen. Vielleicht!
Das Bauhaus hat
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