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Gefühlte Nähe: Roman in 23 Paarungen (German Edition)

Gefühlte Nähe: Roman in 23 Paarungen (German Edition)

Titel: Gefühlte Nähe: Roman in 23 Paarungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Martenstein
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Gürtellinie, sagt Groll.
    Er setzt sich auf einen Pflanzenständer, Böresund. N. geht langsam weiter.
    Verzeih mir, ruft Groll ihr laut hinterher, verzeih mir, ich bin deiner nicht würdig, Aber sag nur ein Wort, und dann wird meine Seele gesund.
    War das denn alles nur wegen der Bemerkung, die er auf der Fahrt über den toten Lehrer gemacht hatte? Er spricht so viel über sich, von N. und ihrer Vergangenheit und den Enttäuschungen, die sie erwähnt hat, weiß er kaum etwas. Er war in den letzten Jahren so oft mit Paula alleine, der kann er solche Dinge doch nicht erzählen. Da hat sich bei ihm was angestaut, ein Mitteilungsbedürfnis. N. lässt sich die Fäden aber auch einzeln aus der Nase ziehen. Von sich aus erzählt die gar nichts.
    Will er N. überhaupt, in dem Sinne, dass er mit ihr sein weiteres Leben verbringen möchte? Das weiß er nicht genau. Damit fängt’s schon mal an. Das ergibt sich irgendwie, oder auch nicht.
    Kurz vor der Kasse holt er N. ein. Erzähl mir von dem Lehrer, sagt er.
    Der Lehrer war ein Arschloch, sagt N., wenn du’s unbedingt wissen willst, ich hatte was mit dem, er war ein Arschloch, aber ich habe ihm verziehen, ein guter Lehrer war er trotzdem.
    Ich kann auch nicht anders, ruft Groll. Stell dir einfach vor, du seist dreißig Jahre älter – er rechnete kurz, ja, das war realistisch –, du bist dreißig Jahre älter, und du denkst an mich, den Groll, der ein Arschloch war, aber der nicht anders konnte, und der, auf der anderen Seite, wenn du dich daran erinnerst, auch was hatte, doch, doch, der hatte was. Der war nicht viel schlechter als die anderen. Dieses Gefühl, das Gefühl von in dreißig Jahren, das versuchst du heute schon zu haben. Dann wird es was mit uns.
    N. geht weiter. Sie schiebt den Einkaufswagen. Groll stützt sich an die Kommode Sjegerflöd, ihm wird schwindlig, hoffentlich kein Gehirntumor. Die Rechnung wird man sich zu gegebener Zeit schon aufteilen. Er wird jetzt Paula im Kinderparadies abholen, Paula und er werden ein Taxi nehmen. In ein paar Tagen wird er N. anrufen. Wenigstens ist er nicht arbeitslos.

20
     
    Zu dieser Zeit, im frühen Sommer, schlief Grün schlecht. Er stand morgens fast immer um vier auf, setzte sich auf die Terrasse, hörte den Vögeln zu und wartete darauf, dass ihm etwas einfiel. Um sieben wurde seine Frau wach, schlurfte, noch im Halbschlaf, durch die Terrassentür, murmelte etwas, stellte ihm seine Lieblingstasse auf den Tisch, gefüllt mit Kaffee, bis dahin war ihm nichts eingefallen. Von jetzt an würde ihm erst recht nichts einfallen. Er schlug die Zeitung auf und suchte nach den Börsenkursen. So ging das seit Wochen.
    Die Show, deren Moderator er war, lief seit elf Jahren. Die Quoten sanken, nach einer so langen Zeit war das beinahe selbstverständlich. Zum Glück sanken sie langsam. Grün glaubte, dass die Show, nach den Maßstäben des Senders, immer noch ziemlich gut war, zumindest unterhaltsam, vielleicht war sie im Lauf der Zeit sogar besser geworden. Wenn wir heute neu herauskämen, sagte er sich, dann wären wir eine Sensation.
    Grün stand vor einer schwierigen Entscheidung. Er konnte sich noch einmal etwas Neues suchen, neues Konzept, neuer Anlauf, neues Risiko. Oder er konnte sich dazu entschließen, mit der Show weiterzumachen bis zum bitteren Ende. Danach das Altenteil. Das Haus in Spanien endlich ausnützen, das er vor zwanzig Jahren gekauft und in dem er seitdem nur vier oder fünf Urlaube verbracht hatte. Das aktuelle Programm verfolgte er ohnehin kaum noch, die neuen Leute, die neuen Methoden, davon wusste er wenig. Wahrscheinlich stand er unter Zeitdruck. Falls er noch einmal durchstarten wollte, musste sein Kurs im Sender immer noch hoch genug sein, damit sie dort bereit waren oder sich zumindest verpflichtet fühlten, ihm etwas Neues anzuvertrauen. Sein Kurs war gesunken, das stand fest. Aber wie tief? Er wusste es nicht. Genauso wenig wusste er, wozu er überhaupt Lust hatte. Das war ja die wichtigste und die schwierigste Frage. Wozu habe ich Lust? Was macht mich heiß, wofür kann ich brennen, was holt die letzten fünf Prozent aus mir heraus?
    Jeden Morgen um vier saß Grün auf seiner Terrasse und stellte sich diese Frage.
    Spätestens mit Anfang sechzig wollte er aufhören. Nein, er musste, danach wird es peinlich, außer du machst eine Nachrichtensendung oder ein Wissenschaftsmagazin. Kann man aus Löwenzahn Benzin machen? Haben Wale einen Orgasmus? Wo kommen wir her, wo gehen wir hin? Grün wollte

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