Gefühlte Nähe: Roman in 23 Paarungen (German Edition)
Flurs, konnte Grün sie besser sehen. Er schätzte sie auf Mitte vierzig. Grün sagte: »So etwas sollte man nicht tun. Das ist gefährlich. Einfach jemanden in die Wohnung reinlassen, ich könnte doch Gott weiß was für ein Freak sein.« Während er sprach, wurde ihm bewusst, dass er dummes Zeug redete.
Die Frau schwieg. Grün hatte nicht den Eindruck, dass sie betrunken war oder unter Drogen stand. Er selber hatte schon einiges getankt. Er konnte noch einigermaßen klar denken, aber er war sich nicht sicher, ob es noch für eine Erektion reichte, von dem Stress der ungewöhnlichen Situation mal ganz abgesehen. Die Frau nahm seine Hand und führte ihn in ihr Schlafzimmer. Ihre Wohnung war relativ teuer eingerichtet und aufgeräumt, das beruhigte Grün. Ein Freak war auch diese Frau nicht.
Neben dem Bett stand ein kleiner Karton mit Präservativen, aus dem Drogeriemarkt, zwanzig Stück, der Karton war nicht angebrochen. Grün erwartete, dass die Frau den Karton öffnen würde, aber das tat sie nicht, auch er unternahm nichts in dieser Richtung.
Grün musste wenig tun, die Frau war sehr entschlossen. Grün hatte keine Probleme. Die Frau hatte keine unüblichen Wünsche. Es dauerte ungefähr zwanzig Minuten. Ein interessantes Erlebnis, dachte Grün währenddessen, aber ich hätte mir so etwas, alles in allem, doch aufregender vorgestellt. Gegen Ende hörte Grün, wie sein Handy klingelte, es steckte in seinem Jackett, draußen auf dem Flurboden.
»Das wollte ich schon vor Jahren«, sagte die Frau. »Aber du wolltest ja nie. Du hast mich auflaufen lassen. Du warst damals mit Simone zusammen, stimmt’s?«
Mit dem Namen Simone konnte Grün nicht das Geringste anfangen. Er versuchte sich an die Frau zu erinnern, die neben ihm lag. War sie, vor Jahren, mal Praktikantin in der Sendung gewesen? Oder in der Sendung, die er davor moderiert hatte? Es gab so viele Praktikanten. Aber wenigstens eine vage Erinnerung hätte doch in ihm aufleuchten müssen, diese Frau war gut erhalten, sie konnte sich nicht sehr verändert haben.
»Mit Simone ist nie was gelaufen«, sagte Grün.
Das glaube sie nicht, sagte die Frau. Aber es sei ja jetzt egal. Als sie ihn so habe sitzen sehen, allein in der Bar, irgendwie traurig, da sei ihr die Idee mit dem Zettel gekommen. Einfach ein Zettel, eine Adresse, ohne das übliche Drumherum. Jetzt oder nie. Entscheide dich. So was habe ich noch nie gemacht, sagte sie. Du hast mich so angesehen.
»Wie habe ich dich denn angesehen«, fragte Grün.
»Als ob du dazu bereit wärst, dich zu entscheiden.«
»Im ersten Moment habe ich dich gar nicht erkannt«, sagte Grün. »Du hast die Haare anders, oder?«
»Länger.«
Grün fragte, ob er rauchen dürfe. »Auf dem Balkon. Wenn wir zusammenbleiben, musst du es dir aber abgewöhnen. Gehst du noch manchmal ins Spielcasino?«
Grün hatte noch nie in seinem Leben ein Spielcasino betreten. Da war er sich sicher.
Er sagte: »Nicht mehr so oft.«
Inzwischen vermutete er, dass die Frau sein Gesicht aus dem Fernsehen kannte und dass in ihrem Gehirn eine Art Kurzschluss, so etwas gab es bestimmt, dieses ihr bekannte Gesicht in einem anderen Zusammenhang reproduzierte, Montagefehler. Grün erinnerte sich an einen Bestseller, in dem ein Mann seine Frau mit einem Hut verwechselt, im Vergleich dazu war der Irrtum dieser Frau eine Bagatelle.
Es war immer noch warm draußen. Auf dem Balkon schmiegte die Frau sich an ihn, dann flüsterte sie ihm ins Ohr: »Ach, Grün, komm, Grün, gehen wir wieder rein.«
Grün streichelte die Frau, um Zeit zu gewinnen. Dann fragte er: »Wo haben wir uns eigentlich zum ersten Mal gesehen? Du, ich glaube, das weiß ich gar nicht mehr, beim ersten Mal habe ich gar nicht auf dich geachtet.«
Die Frau küsste Grün. »Lenk nicht ab. Keine Spielchen, diesmal nicht.«
In diesem Moment klingelte Grüns Handy. Das Jackett lag immer noch im Flur auf dem Boden. Wie spät war es? Zwei? Drei?
»Das kann wichtig sein«, sagte Grün und ging zurück in die Wohnung. Er war fast wieder nüchtern, deswegen merkte er, dass der andere Mann nicht nüchtern war. Er nannte seinen Namen nicht, Grün kannte die Stimme, jemand aus dem Sender, Moment, war das vielleicht Blinker, der Assistent von Röhricht?
»Ich hab dich nicht angerufen, Grün, verstehst du?«
Sie verhandeln mit Nachfolgern. Röhricht sagt, bis zum Ende der Staffel gibt er dir noch, er will das ordentlich zu Ende führen. Sie verhandeln mit Nachfolgern, verstehst du?« Der Mann
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