Gefühlte Nähe: Roman in 23 Paarungen (German Edition)
wenn du es willst und wenn eine geheimnisvolle Kraft auf deiner Seite ist, die er heute vielleicht »Schicksal« nennen würde, obwohl er wusste, dass auch dieses Wort zu ungenau war.
Wenn du den anderen nichts geben willst, wirst du allein sein, selbst wenn du reich bist. Wenn du Angst davor hast, etwas von dir zu verlieren, wirst du allein sein. Es gibt immer einen Preis. Das Wertvollste überhaupt ist das Leben, und das Leben fordert deshalb den höchsten Preis, den Tod. So dachte er. Was N. betraf, so war er bereit, zu zahlen, was immer sie verlangte.
Inzwischen sangen Kool and the Gang zum dritten Mal »Get down on it«. Einige der Passagiere hatten sich wieder auf ihre Plätze gesetzt. Andere saßen auf den Stuhllehnen. Das Licht empfanden die meisten als unangenehm, während des Fluges war es dunkel gewesen. Einige schimpften. Andere dösten mit offenen Augen.
N. sagte, dass so etwas an diesem Flughafen öfter vorkomme. Eine Firma sorgt dafür, dass fahrbare Treppen zu den Flugzeugen herangeschafft werden, dieselbe Firma ist für das Entladen des Gepäcks zuständig. Wenn viele Flugzeuge gleichzeitig ankommen, schafft es die Firma nicht, seit Jahren.
Lamin schaute noch einmal hinaus. Das Flugfeld war leer. Keine Maschinen, auch Menschen waren nicht zu sehen.
Nach einer halben Stunde waren die meisten Passagiere wütend. Zumindest ein paar entschuldigende Sätze aus dem Lautsprecher hätte man doch erwarten dürfen. Sie hatten sich inzwischen fast alle wieder gesetzt, ihre Taschen und Koffer standen auf ihren Knien und Schenkeln.
Das geht nicht. Das können die nicht mit uns machen. Einige versuchten, zu telefonieren. An dieser Stelle des Flugfeldes schien der Empfang sehr schlecht zu sein, sie brachten keine Verbindung zustande.
Im Flugzeug wurde es wärmer, obwohl es draußen wahrscheinlich kalt war. Die Stewardessen, vier oder fünf, zeigten sich nicht. Vermutlich saßen sie hinter dem Vorhang, der den Passagierraum von einem kleinen Vorraum trennte, in dem es zwei Toiletten gab und den Ausgang. Im hinteren Teil des Flugzeuges lag ein ähnlicher Raum. Sidi drehte sich vorsichtig um, dort hinten war der Vorhang geöffnet. Der hintere Raum wirkte unaufgeräumt, zwei aufgeblätterte Zeitschriften lagen dort auf dem Boden, außerdem ein zerknüllter Plastikbecher, der bei der Landung irgendwo herausgefallen war.
Ein wütender Mann, der ein buntes Hemd trug, ging nach vorn und zog den Vorhang beiseite. Die Plätze, auf denen die Stewardessen gesessen hatten, waren leer.
Der Mann, dessen Wut nun noch größer wurde, versuchte, die Tür zur Pilotenkanzel zu öffnen. Zuerst rüttelte er vorsichtig an ihr. Dann setzte er seine ganze Kraft ein, um den Stahlbügel zu bewegen, der dieser Tür das Aussehen eines Banktresors gab. Ein zweiter Mann kam ihm zu Hilfe, doch auch zu zweit richteten sie nichts aus. Sie klopften und schlugen gegen die Tür, es kam keine Antwort.
Konnte es sein, dass die Besatzung und die Stewardessen das Flugzeug verlassen hatten? Welcher Sinn konnte dahinterstecken? Und wie hatten sie das nur gemacht, ganz ohne Treppe?
N. und Lamin blieben ruhig. Abstürzen können wir jedenfalls nicht, sagte N., sie glaubte an eine unwahrscheinliche Verkettung von Zufällen und Pannen. Bestimmt würden morgen die Zeitungen darüber berichten. Es gebe in Deutschland Fernsehshows, in denen Leute schwierigen oder unerklärlichen Situationen ausgesetzt würden. Versteckte Kameras zeichneten ihre Reaktionen auf. N. sagte, dass sie an einer solchen Show sogar einmal mitgearbeitet hatte. Vielleicht spielten sie gerade in einer Show mit, ohne es zu wissen.
Die meisten anderen Passagiere waren weniger gelassen. Sie redeten laut, sie bestätigten einander, wie unverschämt sie fanden, was die Fluggesellschaft mit ihnen tat. Viele drückten auf ihren Handys herum, die immer noch keine Verbindung fanden. Kinder weinten.
Die beiden Männer, die versucht hatten, die Tür zum Cockpit zu öffnen, arbeiteten nun an den Ausgangstüren, deren Hebel sich aber nicht bewegen ließen. Eine ältere Frau warnte sie. Das sei Sachbeschädigung. Sie sollten die Nerven behalten und einfach abwarten, wie die anderen auch. Als nächstes versuchten die Männer mit den kleinen Nothämmern und mit einem Feuerlöscher die Notausgänge in der Mitte des Flugzeuges zu öffnen. Aber das schien, wie sie nach ungefähr einer halben Stunde zugaben, aussichtslos zu sein.
Währenddessen war, ununterbrochen, das Lied zu hören. Lamin kannte
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