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Gegen Die Laufrichtung: Novelle

Gegen Die Laufrichtung: Novelle

Titel: Gegen Die Laufrichtung: Novelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bodo Kirchhoff
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auch noch am Nachmittag schreiben, dann hätte sie jetzt Zeit zum Reden, später muß sie nur telefonieren. Ihre Tante liegt im Krankenhaus, sie liegt seit Tagen im Koma.
     Warum lachen Sie? fragt Jonas. – Ich, hab gelacht? Christine bläst Rauch in die Luft, Jonas atmet ihn ein; plötzlich hat er es auf der Zunge, zu sagen, wer er ist, das heißt, wer er war, auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn, im Halbfinale von Paris. Da war er gegen Cobb, Mitte des dritten Satzes, in der Form seines Lebens, drauf und dran, ins Endspiel eines Grand SlamTurniers vorzustoßen, und zum ersten Mal kam er an bei den Leuten, sie riefen Jonas, Jonas, wie sie sonst nur Henri, Henri riefen und bei den US-Open: Jimbo, Jimbo. Nach seiner Niederlage saß er dann in den Katakomben und weinte, aber lieber war er dort oder auf dem Feld unglücklich als irgendwo anders, da wußte man, woher das Unglück kam, von dem 6:2, 6:3, 3:6, 6:7, 0:6, wie es nach der Schlacht gegen Cobb hieß. Später, im Gefängnis, schien es von überall und nirgends zu kommen, wie die winzigen roten Ameisen auf dem Boden der Zelle; Abend für Abend lag Jonas auf seinem Bett und sah ihnen zu, Abend für Abend schlief er darüber ein. Wenn Sie wissen wollen, was ich am liebsten mache, sagt er zu Christine, schlafen, und sie gibt ihm das Wort schlicht zurück. Schlafen, erwidert sie und nicht etwa: So, schlafen… was Jonas zur Wahrheit ermutigt. Und früher war ich Tennisspieler. Christine lacht zum zweiten Mal; Muß man Sie kennen? Jonas schweigt. Er kneift die Augen zu, um diesem Wunsch vorzubeugen: von ihr geliebt zu werden. Dann will er sagen, Muß man nicht, aber ein sorgfältig gekleideter Herr tritt an den Tisch, verbeugt sich vor Christine. Eine Sekunde lang zögert der Herr, etwas vorzubringen, ein Zeitraum, in dem Jonas aufstehen, davonlaufen will, bis ihm einfällt, daß er noch nicht gezahlt hat, also am Tage der Entlassung mit dem Gesetz in Konflikt käme, und er zu den Männern, die ihn erkannt haben, schaut, während der sorgfältig gekleidete Herr sagt, er habe hier ein Buch liegenlassen, einen Bildband über die Dolomiten, und Christine neben sich greift, ihm das Buch mit einem Bitte hinhält. Der Herr nimmt es entgegen, Christine sagt, sie habe darin geblättert, schönes Buch, schöne Bilder, leider sei sie nie in der Gegend gewesen, worauf ihr der Herr rät, dort einmal zu wandern; er empfiehlt ein Albergo, er notiert die Adresse, Jonas möchte ihn treten, Christine dankt für den Tip, der Herr verabschiedet sich. Jonas sieht ihn weggehen, gefolgt von den Männern mit den bunten Krawatten, als seien sie im Bunde mit ihm. Die beiden schauen sich noch einmal um, sie scheinen ihn bestens zu kennen, ja, vielleicht sind es sogar zwei, die damals hier saßen, an dem Abend, als die Ella mit dem Galeriebesitzer auftauchte; weiß man's?
     Er hätte auch kaum für möglich gehalten, was dieser andere schon alles wußte, während sie zu dritt ihren Hunger stillten, Wolf hatte eingeladen, bürgerlich Wolfgang, Arbeitsessen mit Ballkünstler, nannte er das. Erst als er Bemerkungen über seine intakte Prostata machte, die doch bei jüngeren schon vergrößert sein könne, und Ellas Zeigefinger küßte, wußte Jonas Bescheid, konnte den folgenden, kleinen Sätzen entnehmen, wie gut die zwei sich bereits kannten, wie sehr die Methoden der Urologin schon die des Galeristen geworden waren, und griff nach dem Steakmesser, nicht in der Absicht zu töten, bloß diesen Bemerkungen ein Ende zu setzen, das zu schaffen, wie er gegen den großen John in Melbourne ein Break geschafft hat, und stieß es in die Brust des Galeristen, ansatzlos, wie man im Tennissport sagt, worauf dieser stöhnte und ein Schwall von Blut aus seinem Mund kam, bevor er zu Boden glitt, immer noch stöhnend, während er, Jonas, sich umsah, in der aberwitzigen Hoffnung, es gebe keine Zeugen der Tat, wobei sein Blick auf die Uhr am Zürichhochhaus fiel, und die zeigte neun; Jonas dreht sich um nach dem Hochhaus, Viertel nach zwölf ist es, sieht er und spricht es wie ein die Freiheit des Lesens erfahrendes Kind vor sich hin, Viertel nach zwölf ist es, worauf Christine sagt, Dann muß ich jetzt telefonieren. Sie steht auf, sie zögert, sie läßt ihre Tasche – Geschenk jenes anderen, den es immer gibt – zurück. Ich werde noch da sein, versichert ihr Jonas. Und ich mich eilen, erwidert Christine; dritter Knoten.
     Jonas, allein. Die Hände zwischen den Knien, sieht er über den Opernplatz, wo man

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