Gegen Die Laufrichtung: Novelle
ihn festnahm; nur einen einzigen Vorsatz hatte er für den Tag seiner Freilassung: an diesen Ort zurückzukehren, als sei nichts geschehen, wie er auch, jeder Furcht trotzend, einen Center Court wieder betrat, auf dem er gescheitert war. Schaut man ihn an? Er weiß es nicht. Nur was treiben die Leute dann hier auf dem Platz? Menschen, wohin er sieht, als stehe ein Endspiel bevor, Menschen, die nichts zu tun haben an einem Montag, irgend etwas muß in den letzten Jahren geschehen sein mit denen, eine Art Allianz scheint sie zu einen, gegen andere, diesen Platz ihnen streitig machende Menschen; soll das Land denn jetzt nicht zugemacht werden, oder was hört man – die Welt ist voll von Armen, die Armen wollen hierher, am liebsten auf den Opernplatz, da haben sie im Winter die U-Bahnstation und im Sommer den Brunnen, dann muß man nur Schilder aufstellen, Das Anzünden von Ausländern ist polizeilich verboten, aber die lassen sich sogar einsperren, bloß um hier sein zu können, er hat sie getroffen, rumänische Betrüger, türkische Diebe, polnische Schieber, freundliche Leute im Grunde, sollen sie doch bleiben; Jonas weiß nicht, daß er verliebt ist. Er mag die Fremden, er mag diesen Ort, er mag auch das Haus mit den Wabenfenstern, auf dem Mövenpick steht, ja mag selbst die Ansässigen, wie sie auf eisenbeschlagenen, kleine Schüsse abgebenden Schuhen an ihm vorbeiparadieren, Richtung Westend, wo ihre Büros sind, als zögen sie in eine Schlacht, jeder gegen jeden, das Haar straff zurückgekämmt und im Nacken, wie auf höhere Weisung, zum Schwänzchen gebunden. Nichts stört ihn in dieser Minute, alles hat seinen Sinn, sogar das Gesicht auf der Titelseite des Spiegels, den jemand am Nebentisch liest, immer noch dieser riesige Kanzler mit der undeutlichen Frau. Jonas hat im vergangenen Jahr keine Zeitung mehr angerührt und, wie ein Terrorist die Nahrung, auch Fernsehen verweigert, es genügte ja nicht mehr, den Sportteil zu überblättern oder sich totzustellen während einer Turnierübertragung, längst war Tennis in die Tagesschau gerutscht, und man konnte erleben, wie sie jetzt in den Pausen Bananen verdrückten, bis der von oben Time murmelte und sie noch rasch am Bändel für die Aidshilfe zupften. Also diesen Riesen gibt es immer noch, hat der denn gar keine Krankheiten, kein leidendes Herz, keine Fettleber? Ist der womöglich gesünder als er, der im Gefängnis schon einmal keuchte, wenn's die steilen Treppen hinaufging, dachte, welchen Platz auf der Liste der Sterblichen er denn wohl einnähme, wie viele noch vor ihm dran wären. Immerhin traf es inzwischen auch Sportler, von einem Magic Johnson, Basketballer, hatte das ganze Gefängnis gesprochen, selbst dieser Kerl wie ein Baum wird früher oder später eingehen, klapperdürr verrecken. Jonas hat sie gesehen auf der Krankenstation, ihre Blicke auszuhalten war weiß Gott etwas anderes, als für sie ein Bändchen zu tragen; er schaut sich um, wo bleibt Christine?
Jonas weiß nicht, was er tun soll in den nächsten Minuten, gehen, bleiben, kämpfen, Christine bitten, daß sie ihn mag? Keiner kann sagen, wohin das führt; sind alle Frauen gleich, ist jede Frau anders? Seine Urologin, die Ella, war nur zu erschüttern, wenn man ihr die Luft aus dem Rad ließ, jedenfalls schrie sie da lauter als beim Stich in die Brust ihres Liebhabers. Jonas empfand kein Mitleid mit ihm, er empfand Mitleid mit sich. Als der Fall Jonas aus den Schlagzeilen verschwand, war er von aller Welt verlassen; er kehrte zum Mittagsschlaf seiner Kindheit zurück, träumte, anfangs noch von einem Platz unter den Ersten Zehn, er gewann Wimbledon, die Herzogin von Kent nahm ihn beiseite, später liefen alle Träume nur noch auf das häßliche Wort hinaus. Jonas ahnt, daß da etwas nicht stimmt mit ihm, wie mit Leuten, die nur ans Geld denken, er kann dieses Wort nicht bezwingen, klein und rauh hört es sich an und bezwingt ihn. Er will sein Glas leeren, er stößt es fast um: Christine kommt, sie wechselt mit all ihren Sachen, Mantel Tasche Zigaretten, den Tisch, offenbar hat sie geweint, Jonas sieht sie an, entschlossen, sein Leben zu wagen. Da ist ein Wort, an das ich immerzu denken muß. Christine fragt, Welches, Jonas schweigt, und da bittet sie ihn um das Wort, und er spricht es, fast atemlos, aus. Vierter Knoten.
Christine hat mit dem Arzt der Tante gesprochen. Sie könne im Moment nichts tun, hat der Arzt ihr gesagt, sie könne die Tante nur ansehen, am Nachmittag solle sie
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