Gegen jede Regel
und einem Dreirad abmühte. Wir halfen ihr durch
die Tür und in den Aufzug und fuhren in Blumbergs Etage.
Nina klingelte an der Wohnungstür. Im Innern der Wohnung
tappten Schritte, dann war zu hören, wie Marcel Blumberg die Gegensprechanlage
bediente.
Nina klopfte an die Tür und rief höflich: »Herr Blumberg,
hier ist Gerling von der Kriminalpolizei.«
Im Innern der Wohnung wurde es schlagartig still. Bei mir
flackerte kurz der Polizisteninstinkt auf, aber ich ignorierte ihn fahrlässig.
Die Tür schwang auf und Blumberg erschien mit einem
freundlichen Lächeln im Gesicht. Die Harmlosigkeit in Person.
»Was für eine Ãberraschung«, sagte er. »Kommen Sie doch
herein.« Er war höflich, er war wirklich überrascht, aber er fragte nicht, was
wir wollten, wie jeder andere das wahrscheinlich getan hätte.
Auch Nina reagierte nicht auf die Warnzeichen. Sie ging auf
ihn zu, ich folgte ihr. Aber nur zwei Schritte weit. Nina ergriff die von Herrn
Blumberg artig ausgestreckte Hand.
Was dann passierte, werde ich mein ganzes Leben lang
nicht mehr vergessen. Der Mann überraschte uns mit einer unglaublichen
Schnelligkeit. Er packte Ninas Hand, zog sie zu sich heran, drehte sie
blitzschnell herum und umklammerte von hinten ihren Hals. Aus dem Nichts
brachte er eine blitzende Messerklinge zum Vorschein, die ihren Weg an Ninas
Kehlkopf fand.
»Keine Bewegung«, zischte Blumberg. Und obwohl ich
Polizist war, war ich beschämenderweise auch zu keiner Bewegung fähig.
»Okay«, sagte ich. »In Ordnung. Ganz ruhig bleiben.« Ich
war mir nicht sicher, an wen ich diese Worte eigentlich richtete.
»Zurück! Gehen Sie zurück!«, schrie er mich an. Ninas
weit aufgerissene Augen erinnerten mich daran, dass auch Polizisten nicht
unverwundbar waren. Dort wo die Klinge an ihren Hals drückte, schlängelte sich
ein dünner Blutfaden über ihre Haut.
Ich trat langsam einen Schritt zurück, dann noch einen.
Mir fiel beim besten Willen nicht ein, wie ich mich in einer solchen Situation
verhalten sollte. Das mochte daran liegen, dass der Mann nicht einfach nur
meine Kollegin als Geisel genommen hatte. Ich sagte zu ihm: »Mann, machen Sie
sich doch nicht unglücklich.« Und mich auch nicht, fügte ich in Gedanken hinzu.
»Seien Sie still!«, brüllte er. »Halten Sie den Mund! Ich
habe zwar keine Ahnung, wie ihr Vollidioten es herausgefunden habt, aber seien
Sie still! Hauen Sie ab! Lassen Sie mich in Ruhe!«
Den Gefallen konnte ich ihm nicht tun. Stattdessen ging
ich noch einen Schritt zurück. Ich erwog meine Optionen. Blumbergs Messer war
bedeutend näher an Ninas Hals als meine Hand an meiner Waffe, deshalb waren
meine Möglichkeiten begrenzt.
»Geiselnahme ist ein schweres Verbrechen«, sagte ich ruhig.
»Warum legen Sie Ihr Messer nicht einfach hin und wir vergessen das Ganze.«
Ich fand mein Manöver eigentlich nicht schlecht, aber
Blumberg zerrte Nina ganz in die Wohnung und trat die Tür vor meiner Nase zu.
Er hatte mich reingelegt.
Dafür konnte ich jetzt schnell handeln. Ich drückte mich
neben der Wohnungstür an die Wand und zog gleichzeitig meine Waffe und mein
Handy. Ich wählte den Notruf. Der Dialog mit der Leitstelle ähnelte frappierend
dem, den ich am Freitag geführt hatte, während ich den Serienmörder verfolgt
hatte. Vielleicht hatte ich tatsächlich das Zeug zum Actionhelden.
Ich schilderte meine Lage und mein Kollege in der Leitstelle
setzte Streifenwagen und ein Sondereinsatzkommando in Bewegung.
»Bleiben Sie dran, in ein paar Minuten ist Verstärkung
bei Ihnen«, sagte er.
Ich war zuversichtlich, denn hier im Hochhaus konnte man
sich nicht im Nebel verlaufen. Was Marcel Blumberg inzwischen mit Nina in
seiner Wohnung anstellte, war leider eine ganz andere Frage.
Bevor auch nur die Idee einer Verstärkung eintreffen
konnte, flog die Wohnungstür wieder auf und Blumberg kam heraus. Er benutzte
Nina als lebenden Schutzschild. Er schrie: »Platz da! Machen Sie Platz!«
Ich trat gehorsam zur Seite. Anscheinend hatte sich der
Spieler zur Flucht entschlossen. In meiner Fantasie entfesselten sich wilde
Verfolgungsjagden und SchieÃereien und in keiner Variante gehörte Nina zu den
Ãberlebenden.
Meine Besorgnis musste ich nicht spielen, als ich sagte: »Mein
Gott, Sie pressen ihr ja das ganze Blut ab. Wenn Sie so weitermachen,
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