Gegensätze ziehen sich aus
Chance.«
»Timo kann Karate«, sagte Timos Mutter. »Aber er hat gerade erst damit angefangen.«
»Was haben die Jungens denn gesagt, das euch so geärgert hat«, fragte Frau Berghaus freundlich.
Emily und Valentina sahen einander an. Sie schienen sich stumm zu unterhalten. Dann begann Valentina zu sprechen. Es war eigentlich mehr ein Flüstern, und alle beugten sich vor, um sie besser verstehen zu können.
»Pass auf, wohin du gehst, wie sieht die denn aus, weißt du eigentlich, wie hässlich du bist, du Spasti, dein Ranzen ist total scheiße, was ist das für ein Sack, den du da anhast, du siehst aus, als ob dir jemand auf die Haare gepisst hat, ich pisse der gleich auf die Haare, nein ich, warum sagst du nichts, bist du zu blöd, ich kenne ihre Mutter, die kann auch nicht richtig sprechen, ist das Schlitzauge deine Freundin, ihr passt gut zusammen, ihr seid beide scheißehässlich, halt's Maul, willst du auch Pisse auf den Kopf, Schlitzauge, ich kann Karate, aua, aua, aua.«
Nach dieser tonlos heruntergeleierten Aufzählung herrschte erst einmal Schweigen.
»Ist sie autistisch?«, fragte die Mutter von kleiner Butzemann.
»Nein, sie hat einfach nur ein sehr gutes Gedächtnis«, sagte Frau Berghaus. Frau Ulganowa sagte etwas auf Russisch.
Ich beugte mich zu Emily und sagte: »Ich bin sehr stolz auf dich.«
Ihr Gesicht blieb regungslos wie das einer Puppe.
»Ich bin schockiert«, sagte die Lehrerin der Jungen. »Habt ihr das wirklich alles gesagt?«
»Nein«, sagte Justin, aber Kleiner Butzemann und Timo nickten.
»Das ist unerhört«, sagte die Rektorin. »War das heute das erste Mal, dass ihr geärgert wurdet?«
»Nein«, sagte Valentina. »Sie sagen immer gemeine Sachen, wenn sie uns sehen. Und sie rempeln uns mit Absicht an.«
»Das ist doch nur Kindergeschwätz«, sagte die Mutter von Kleiner Butzemann. »Sie meinen das doch nicht so.«
»Es sind Jungen, die schlagen manchmal über die Stränge«, sagte die Mutter von Timo.
»Sie hat doch wirklich einen komischen Sack an«, sagte Kleiner Butzemann. »Und einen total scheiße Schulranzen.«
»Und deshalb wolltest du ihr auf die Haare pinkeln?«, fragte die Rektorin.
Die Mutter von Kleiner Butzemann nahm kleiner Butzemann in den Arm.
»Das ist doch alles kein Grund, gleich Kung Fu anzuwenden und jemandem die Hoden zu Brei zu treten«, rief die Mutter von Justin.
»Ich finde, schon«, sagte ich.
»Ich finde auch, dass man sich in so einem Fall wehren muss«, sagte die Rektorin. »Obwohl du eine Lehrerin hättest holen sollen, Emily, finde ich es sehr mutig von dir, gegen drei große Jungen zu kämpfen.«
»Kunststück, wenn man ein Ninja Turtle ist«, sagte Justins Mutter.
»Emily macht Ballett, um das mal klarzustellen«, sagte ich. »Und sie wiegt höchstens halb so viel wie Justin. Dass sie ihn genau an der richtigen Stelle getroffen hat, wird wohl ein glücklicher Zufall gewesen sein.«
»Na, da weiß man ja, wo der Hang zur Gewalt herkommt«, sagte die Mutter von Kleiner Butzemann.
»Meine Kolleginnen und ich werden uns überlegen, was dieser Vorfall für Justin, Timo und Marc-Raffael für Folgen haben wird«, sagte die Rektorin. »Wir werden Sie heute Nachmittag telefonisch darüber verständigen, ob es einen vorübergehenden Schulverweis geben wird. Und wir werden uns unverzüglich mit dem ganzen Kollegiumzusammensetzen müssen, um über Präventionsmaßnahmen nachzudenken. Solche Fälle von massiver Diskriminierung und Mobbing hatten wir an der Schule bisher noch nicht.«
»Ich fasse es nicht, wie hier der Spieß umgedreht wird«, sagte Justins Mutter.
»Ich hasse es, dass Mädchen immer recht bekommen und Jungs grundsätzlich die Schuldigen sind«, sagte Timos Mutter. Die beiden Mädchen sahen erleichtert aus, obwohl Valentina immer noch weinte. Frau Ulganowa weinte auch ein bisschen und umarmte ihre Tochter. Ich traute mich nicht, Emily zu umarmen, und griff stattdessen nach ihrer Hand. Sie zog sie nicht weg, auch nicht, als wir aufstanden.
Justins Mutter rief: »Sollten Justins Hoden ernsthaften Schaden erlitten haben, werde ich Sie und die Schule dafür haftbar machen!«
»Und sollten seine Hoden nicht ernsthaft Schaden erlitten haben, sagen Sie doch bitte auch Bescheid«, sagte ich. Zur Direktorin sagte ich: »Haben Sie vielleicht noch so einen Aufnahmetest zum Üben? Ich würde meinen Sohn gern auf diese Schule schicken, wenn es so weit ist. Auch wenn sich bei uns keiner mit Semikolons auskennt.«
* * *
Obwohl bei den
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