Gegensätze ziehen sich aus
Emily. »Das sind gemeine Leute. Könnte sie nicht bei uns putzen, Papa? Oder bei dir, Constanze?«
»Das wäre genauso furchtbar«, sagte ich. »Die Frau ist Cellistin. Es ist eine Schande, dass sie putzen gehen muss.«
»Sie braucht einen richtigen Job«, sagte Anton. »Ich werde mich mal umhören. Und vielleicht rufe ich sie einfach morgen mal an und frage sie, ob ich ihr bei dem Papierkram behilflich sein kann.«
Dafür liebte ich Anton in diesem Augenblick mehr denn je.
»Du bist der beste Papa der Welt«, sagte Emily und kletterte auf seinen Schoß.
»Und du die allerbeste Tochter«, sagte Anton.
Julius war das offensichtlich ein bisschen zu viel Gefühlsduselei. Er sagte: »Emily hat heute einem Jungen in die Eier getreten. Und dann gab es eine Konferenz.«
Anton hob eine Augenbraue.
»Ach ja«, sagte ich. »Das hatte ich schon wieder ganz vergessen.«
* * *
Die Gummistiefel von dem Urenkel eines Freundes von Herrn Wus Mutter waren entzückend, witzig und originell. Es gab karierte, gepunktete und geblümte, andere hatten Kuhflecken oder waren wie eine Giraffe gemustert, es gab welche mit Erdbeeren, Kirschen und Ananas, welche mit Törtchen, witzigen Katzen und lustigen Möpsen, und ich wollte sofort mindestens zehn Paar davon besitzen. Der Einkaufspreis war phänomenal günstig, offenbar ließen sich alte Autoreifen überaus billig in bunte Gummistiefel verwandeln.
»Viel zu schade für die Gartenarbeit«, sagte ich zu Herrn Wu.
»Das sagt meine Mutter auch«, sagte Herr Wu.
Ich konnte nicht anders, ich musste Herr Wu küssen. »Sie sind so ein Schatz«, sagte ich. »Erst die Brillenetuis und die Brillen, und jetzt diese herrlichen Gummistiefel. Wie sollen wir Ihnen nur danken?«
»Das mache ich doch gern«, sagte Herr Wu. »Und nebenbei fördern wir die deutsch-taiwanesischen Wirtschaftsbeziehungen. Übrigens, haben Sie schon einmal über die Tüten nachgedacht?«
»Tüten?«
Herr Wu nickte. »Die deutsche Kundschaft will Tüten mit Henkeln. Sie wollen alles in Tüten mit Henkeln verpackt haben. Sicher auch Schuhe.«
»Oh, ja, da haben Sie recht«, sagte ich.
Eine herkömmliche Plastiktüte brauche fünfzigtausend Jahre, um zu verwesen, erklärte mir Herr Wu. Plastiktüten erstickten unseren Planeten. Aber eine Freundin seiner ältesten Enkeltochter hatte einen Onkel, der sehr hübsche Papiertüten herstellte, sagte Herr Wu. Aus Recyclingmaterial. Ob ich vielleicht Interesse hätte?
Natürlich hatte ich Interesse. Herr Wu hätte eigentlich ein Beraterhonorar zugestanden. Zumindest würden wir ein Leben lang unser Gemüse immer nur bei ihm kaufen.
Mit drei Paar Beispiel-Gummistiefeln als Tarnung stand ich am Sonntagmittag bei Ronnie und Mimi vor der Tür. Ich wollte Coralie einfach persönlich auf den I-Pod ansprechen. An ihrer Reaktion würde ich schon merken, ob sie etwas mit seinem Verschwinden zu tun hatte. Nelly hatte die Hoffnung auf das gute Stück schon aufgegeben. Kevin meinte, Coralies Vater habe es längst bei eBay vertickt.
Ronnie öffnete die Haustür, und seine Augen verwandelten sich sogleich wieder in Eiskristalle, als er mich sah.
»Ich bin geschäftlich hier«, sagte ich und hielt die Gummistiefel in die Höhe. Ronnie führte mich in die Küche. Wie erwartet war Mimi von den Gummistiefeln genauso entzückt wie ich, noch entzückter, als sie von dem Einkaufspreis erfuhr und von dem Umweltschutzpreis, den der Urenkel des Freundes von Herrn Wus Mutter für seine Geschäftsidee erhalten hatte.
»Da muss ich auch gleich ein Paar für Coralie zurücklegen lassen«, sagte Mimi.
»Ach ja, wo ist sie eigentlich?«
»Sie ruht sich nebenan ein bisschen aus«, sagte Ronnie. »Eigentlich wollten wir ins Museum, aber sie hatte Ringe unter den Augen. Macht uns Sorgen.«
»Sie war die ganze Nacht auf, weil ihre Eltern so laut gestritten haben«, sagte Mimi. »Ihr Vater hat sie um halb drei zur Tankstelle geschickt, um Bier und Zigaretten zu besorgen.«
»Schläft sie?«
»Nein, sie hört Musik«, sagte Mimi.
»Ach nee!« Ich sah Ronnie an. Der presste die Lippen aufeinander.
»Ich möchte Coralie gerne mal was fragen«, sagte ich, stand auf und ging nach nebenan. Ronnie und Mimi folgten mir.
»Das muss doch nicht jetzt sein«, sagte Ronnie. »Warum denn nicht?«, fragte Mimi. »Hi, Coralie, Schatz, bist du wach?«
Coralie hörte uns nicht. Sie lag mit geschlossenen Augen auf dem Sofa, auf ihrem Schoß rekelte sich eine von Mimis und Ronnies Katzen, neben ihr auf dem
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