Gegensätze ziehen sich aus
beiden Mädchen große Erleichterung herrschte und Valentina draußen auch endlich aufhörte zu weinen, standen Frau Ulganowa und ich noch eine Weile unter dem Schirm im Regen und diskutierten das Geschehene.
»Man muss sehen das Positive«, sagte Frau Ulganowa. »Zusammenhalt und Freundschaft.«
Da stimmte ich ihr zu. Die Freundschaft und der Zusammenhaltzwischen Emily und Valentina sollte unbedingt gefördert werden. Laut Frau Berghaus waren sie die beiden begabtesten Kinder der Jahrgangsstufe, den anderen Kindern Lichtjahre voraus.
Deshalb erlaubte mir Frau Ulganowa auch, Valentina mit nach Hause zu nehmen, während sie wieder zurück zur Arbeit ging.
Emily und Valentina teilten sich einen Regenschirm und waren überhaupt bester Dinge.
»Trotzdem solltet ihr in Zukunft immer eine Lehrerin rufen oder holen, wenn ihr geärgert werdet«, sagte ich. »Sie sind ja alle auf eurer Seite.«
Gott sei Dank.
»Zeigst du mir, wie Kung-Fu geht?«, fragte Julius.
»Das war nicht Kung-Fu, das war Ballett«, sagte Emily. »Aber ich kann's dir trotzdem zeigen.«
Emily zeigte sich den Rest des Tages auf jeden Fall von ihrer besten Seite, das heißt von einer Seite, die ich noch überhaupt nicht kannte. Als Valentina sagte, das Mittagessen würde ihr sehr gut schmecken, sagte Emily: »Ja, mir auch.« Und als Valentina sich begeistert über unseren rosa Wohnzimmerschrank äußerte, sagte Emily: »Ja, den finde ich auch ganz toll.« Die Krönung kam aber etwa eine Stunde später, als ich Valentina sagen hörte: »Julius ist ja zuckersüß.« Da sagte Emily nämlich: »Ja, er ist ein wirklich lieber Kerl.«
Anton rief an und war ganz aufgeregt, weil er gerade erst seine Mailbox abgehört hatte und nicht wusste, ob die Wurzelholzbrille mich erreicht hatte.
»Alles in Ordnung«, sagte ich. »Ich habe Emily an der Schule abgeholt und ihre Freundin Valentina gleich mit, sie haben Mittag gegessen und Hausaufgaben gemacht, und jetzt spielen sie im Wintergarten mit Julius und Jasper und Valentinas Teddybär, der Wanja heißt.«
»Ich kann dir gar nicht sagen, wie dankbar ich dir bin«, sagte Anton. »Natürlich passiert so was immer, wenn ich geschäftlich weit weg bin. Wenn du nicht gewesen wärst ...«
»Diese Luisa scheint nicht besonders zuverlässig zu sein«, sagte ich. »Vor allem donnerstags wird sie wohl öfter krank?«
»Ja«, seufzte Anton. »Das Betreuungssystem ist nicht wirklich ausgereift. Im Grunde müsste man zwei Kindermädchen anstellen, die sich abwechseln.«
»Wenn es dir hilft und Emily damit einverstanden ist, könnte ich sie künftig immer donnerstags zu mir nehmen«, sagte ich, noch ehe ich mir darüber klar war, was ich da tat.
Anton schien selber überrascht. So überrascht, dass er nur sagte: »Da reden wir nachher drüber, ja? Ich beeile mich, früh da zu sein. Und - Constanze? Ich liebe dich.«
An seiner Stelle hätte ich das auch gesagt. Aber ich würde zu meinem Angebot stehen. So schlimm war das gar nicht, Emily donnerstags von der Schule abzuholen. Wenigstens erlebte man dabei immer etwas.
Als Frau Ulganowa kam, um Valentina abzuholen, war es schon dunkel. Frau Ulganowa sah müde aus.
»Wollen Sie einen Kaffee?«, fragte ich.
Das wollte Frau Ulganowa. Und außerdem wollte sie, dass ich sie Dascha nenne. Sie trank den Kaffee so schnell, dass ich ihr eine zweite Tasse aufbrühte. Ich war versucht, ein wenig Alkohol hineinzukippen, Dascha sah aus, als ob sie es nötig hätte.
Aber auch ohne Alkohol war sie sehr gesprächig. Sie erzählte, dass sie Cellistin war und dass sie und ihr Mann immer davon geträumt hatten, nach Deutschland auszuwandern, um Valentina ein besseres Leben zu ermöglichen. Als ihr Mann gestorben war, hatte Dascha ohne ihn versucht, ihren Traum zu verwirklichen, und nun waren sie hier in Deutschland, und alles war sokompliziert. Die Arbeitserlaubnis. Die Krankenversicherung. Die Einwanderungsbehörde. So viele Papiere. Dascha seufzte. Die Unterkunft war furchtbar eng, aber eine Wohnung wurde ihr erst zugewiesen, wenn sie eine Arbeit vorweisen konnte.
»Und wenn die Papiere sind in Ordnung«, sagte Dascha. Sie tat mir von Herzen leid. Ich kam mit Papierkram von Ämtern auch überhaupt nicht klar, und dabei konnte ich besser Deutsch als sie.
»Man muss dieser Frau doch helfen können«, sagte ich, als Dascha und Valentina längst weg waren und Anton kam, um Emily abzuholen. »Sie ist so eine nette Person.«
»Es ist furchtbar, dass sie bei Sophie putzen muss«, sagte
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