Gegenschatz
Kopf in seiner noch immer nackten Brust.
«OK! OK! Wir müssen aber langsam los!», antwortet Tom beschwichtigend.
«Wohin?»
«Mann, hat die Tuss dir jetzt ganz die Birne weg geschossen? Mike steht sich garantiert schon die Füße in den Bauch! »
«Verdammt, die Probe!»
«Na endlich!»
«Ich ziehe mich noch schnell um, dann bin ich startklar!»
Marc wendet sich zum Gehen, da hält er plötzlich inne, streicht mein Haar zurück und flüstert mir ins Ohr:
«Kommst du mit, Süße?»
Da muss ich nicht lange überlegen. Meine Augen leuchten.
«Ja, gerne!», platze ich begeistert heraus.
Tom wirft mir einen grimmigen Blick zu.
«Seit wann dürfen Groupies mit zur Probe?»
«Julia ist kein Groupie! Außerdem habe ich etwas mit ihr vor. Mehr verrate ich nicht.»
Er hat etwas mit mir vor? Was denn bloß?
Ohne ein weiteres Wort verschwindet Marc in seiner Wohnung und auch ich laufe schnell in mein Schlafzimmer, um in frische Klamotten zu schlüpfen. Ich suche mir das coolste aus, das ich finden kann, was sich bei meiner eher zurückhaltend-eleganten Kleidersammlung nicht ganz einfach gestaltet. Schließlich stecke ich in einem für meine Verhältnisse kurzen schwarzen Rock und einem engen weißen Top mit einem weiten runden Ausschnitt. Dazu schlüpfe ich in die hohen Lederstiefel. Meine dunkelblonden Haare bräuchten dringend eine Wäsche, aber dazu ist keine Zeit mehr, deshalb quäle ich sie mit der Bürste, bis ich sie einigermaßen gezähmt habe. Als ich vor der Tür auf Marc treffe, weiten sich seine Augen.
«Cool, Baby! Wirklich schade, dass wir jetzt keine Zeit dafür haben….»
Er befeuchtet mit der Zunge seine Unterlippe. Ich lächle etwas beschämt und dann laufen wir gemeinsam die Treppe hinunter. Tom nimmt uns in seinem Auto mit – Marc und ich hocken knutschend auf dem Rücksitz.
Konzertprobe
Der Proberaum befindet sich in einem alten, schallisolierten Luftschutzbunker. Ich staune über die vielen Instrumente und die technischen Geräte, Verstärker, Synthesizer, Mikrofone und Scheinwerfer in verschiedenen Größen. Nun sehe ich zum ersten mal auch das dritte Bandmitglied Mike. Er steht an einem Keyboard und haut eine schräge Melodie in die Tasten. Als er uns bemerkt, hält er inne und blickt uns neugierig entgegen.
«Hey, hat euch ein Elefant gefickt, oder was habt ihr so lange gemacht?»
«Marc hatte einen Autounfall!»
«Oh! Wie geht’s dem Auto?»
«Danke, dass du dir um das Auto Sorgen machst!», antwortet Marc ironisch.
«Na, du stehst ja noch auf den Beinen, wie man sieht!»
«Der Wagen ist Schrott, aber bitte verschone mich mit weiteren Fragen dazu!»
«Und welche Schönheit hast du da heute mitgebracht?»
Er mustert mich mit leuchtenden Augen.
«Das ist Julia!»
«Wie passend, ‘Romeo’!», spottet Mike lachend.
«Ich hab sie mitgebracht, weil ich etwas mit ihr ausprobieren will! Gib mal die Fender rüber!»
Mike reicht Marc eine E-Gitarre. Marc stülpt den Gurt über mich und drückt mir das Instrument in die Hand. Und jetzt? So habe ich mir das nicht vorgestellt. Ich werde unsicher.
«Hier, nimm das Plektron!»
Marc gibt mir ein kleines Blättchen. Natürlich habe ich schon mal ein Plektron benutzt, auch wenn ich auf der akustischen Gitarre meistens klassisch spiele – mit den einzelnen Fingern.
Mike dreht den Verstärker auf und stellt etwas an den Knöpfen oben ein. Dann sind alle Augen auf mich gerichtet. Ich fühle mich überrumpelt und unsicher.
«Leg los!», fordert mich Marc auf.
Ich habe noch nie eine E-Gitarre in den Händen gehalten. Neugierig befühle ich die stählernen Saiten mit der linken Hand. Die Bünde liegen enger als bei meiner akustischen Gitarre und ich übe erst einmal verschiedene Griffe ohne Sound, um mich daran zu gewöhnen. Wie es wohl klingt, wenn ich damit mein selbst komponiertes Stück spiele? Ich fahre mit dem Plektron über die Saiten und der Klang nimmt mich sofort gefangen. Ich probiere andere Griffe aus, ziehe die Saiten, so dass die Töne verschwimmen. Dann spiele ich mit Overdrive und Distortion, die den Klang mehr oder weniger stark verzerren - der Overdrive weich und dreckig, der Distortion aggressiv und spitz . Ich erforsche alle Möglichkeiten, die Klänge und Laute des Instrumentes zu gestalten, wie ein Archäologe seine Fundstelle. Dann bin ich so weit, ich fühle mich als eine Einheit mit der E-Gitarre, schließe die Augen und beginne zu spielen. Ich hätte nie für möglich gehalten, dass mich der
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