Gegenschatz
metallisch-elektrische Sound so mitreißen kann, es kommt mir vor, als spiele ich schneller und sauberer als auf der akustischen Gitarre, obwohl das sicherlich nicht der Fall ist. Ich gehe vollkommen auf in meinem Solo und vergesse alles um mich herum. Ich verliere jedes Gefühl für Zeit und Raum und bestehe nur noch aus der Musik, die in meinem Inneren entsteht und das Instrument in meinen Händen zum Leben erweckt. Eine Melodie folgt der anderen und der Sound vibriert durch meinen ganzen Körper. Meine Finger schmerzen, als ich mein Spiel beende und die Augen wieder öffne. Vor mir hocken Marc, Mike und Tom auf einer Bank und starren mich an. Verlegen bringe ich die E-Gitarre auf ihren Platz zurück. Niemand sagt ein Wort.
«Alles OK?», frage ich verwirrt.
«Mehr als das, Baby! Das war erste Sahne! Bist du sicher, dass du das nicht vorher geübt hast?», fragt Marc überwältigt.
Ich fühle mich geschmeichelt und nicke verlegen.
«Wenn die Kleine bei uns mitspielt, ….», fängt Mike an, doch Tom unterbricht ihn sofort.
«Keine Chance, wir sind ne BOY-Band! Was glaubt ihr, wie die Mädels darauf reagieren, wenn plötzlich ein Weibchen bei uns mitmacht?»
«Das wird die Mädels nur noch heißer machen, wenn sie Konkurrenz wittern. Außerdem kommen dann vielleicht auch ein paar männliche Fans dazu!», wirft Mike ein.
«Und die Mädels kehren uns dafür den Rücken!»
«Tom, du bist du überstimmt!», entgegnet Marc.
Ich glaube, nicht recht zu hören. Es passt mir überhaupt nicht, dass die drei einfach so über meinen Kopf hinweg meine Zukunft verplanen.
«Hey, Moment mal! Bevor ihr euch die Köpfe einschlagt, solltet ihr mich vielleicht mal fragen, ob ich überhaupt bei euch mitmachen will!»
Alle drei starren mich erstaunt an. Damit hatten sie wohl nicht gerechnet.
«Baby, was gibt es da zu überlegen? Jede andere würde sich drum schlagen!»
«Nun bin ich eben nicht wie jede andere und ich müsste das erst einmal grünlich überlegen, nur für den Fall, dass ihr drei euch dann auch einig werdet. Ich habe nämlich absolut keine Lust darauf, dass ihr euch wegen mir prügelt.»
In diesem Augenblick kommt eine Gruppe junger Frauen laut kreischend hereingestürmt – alle aufgemotzt und in kurzen Röcken. Vier umarmen Marc besitzergreifend und die anderen beiden werfen sich Tom und Mike an den Hals.
«Wer hat die Groupies reingelassen?», schimpft Marc wütend.
«Romeo, sei nicht sauer! Du kennst mich doch! Wir haben zwei heiße Liebesnächte miteinander verbracht!», flötet eine Blondine mit langen Beinen und Schuhabsätzen, die man ohne weiteres als Waffe verwenden könnte.
Sie fährt mit der Hand unter Marcs Shirt und versucht, ihn zu küssen, als er den Kopf wegdreht. Eine Rothaarige greift Marc in den Schritt und massiert ihn dort. Mein Magen dreht sich um und mir wird speiübel. Ich kann das alles nicht mit ansehen und flüchte Richtung Ausgang.
«Fuck! Lasst mich sofort los!», höre ich Marc wütend schreien.
Mir laufen weitere Frauen kreischend entgegen, als ich die Absperrung zum Ausgang erreiche. An der Tür stehen zwei Wachleute, die eine weitere Gruppe von Fans in Schach halten.
«Ihr könnt da nicht rein, habe ich gesagt!», schimpft einer der Männer.
«Ich bin Toms Kusine, und wir sind verabredet!», ruft jemand.
«Das glaubst du doch selbst nicht!», entgegnet ein bulliger Wachmann.
«Ich muss zu Romeo! Er ist der Vater meines Kindes!», kreischt eine hochschwangere Frau und streichelt dabei über ihren Bauch.
Das ist zu viel für mich. Ich quetsche mich zwischen Wand und drängelnden Fans vorbei aus dem Gebäude hinaus. Ich will nur noch weg! Ich dränge den beißenden Schmerz beiseite, der versucht, sich in mir auszubreiten und empfinde nur noch Leere. Wie betäubt renne ich die Straße entlang, sprinte durch den Park, laufe durch verwinkelte Gassen und gehe dann erschöpft weiter, bis ich eine halbe Ewigkeit später vor meinem Auto stehe. Ich kann jetzt unmöglich in meine Wohnung zurück – da wäre Marc mir viel zu nahe. Stattdessen steige ich in meinen Golf und fahre los.
Meine Eltern und Tamara
Ich fahre ganz automatisch, ohne zu denken. Stunde um Stunde vergeht und ich bemerke gerade noch rechtzeitig, dass ich tanken muss. An der nächsten Tankstelle erledige ich mechanisch alle Notwendigkeiten und verkrieche mich wieder in den schützenden Kokon meines Fahrzeugs. Wo soll ich hin? Zu meinen Eltern? Lieber würde ich Tamara besuchen, doch ich habe dummer Weise
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